Fit für den internationalen Gast

Obwohl das Geschäft mit internationalen Gästen in der Krise steckt, hat Hessen mit dem GästeNavi eine Plattform gelauncht, die Betriebe für den Umgang mit ausländischen Urlaubern schult. Ein Gespräch mit Herbert Lang, Abteilungsleiter Hessen Tourismus bei der initiierenden Hessen Agentur, und Mike Adams, Geschäftsführer der umsetzenden TourComm Germany GmbH.

Das Incoming steht seit Beginn der Pandemie wegen vieler Reisebeschränkungen besonders im Feuer, trotzdem hat die HA Hessen Agentur mit dem GästeNavi jetzt eine Plattform gestartet, die genau dieses Segment für Betriebe in den Fokus rückt – warum?

Lang: Wir haben das Pandemiegeschehen immer aufmerksam beobachtet. Es war klar: Irgendwann wird sich die Situation entschärfen und wir werden zu einer Normalität zurückfinden. Aber erst dann mit Maßnahmen anzufangen, wenn die Menschen wieder richtig reisen, ist zu spät. Zumal wir nach zwei Jahren mit vielen internationalen Reisebeschränkungen aus vielen Märkten mit Nachholeffekten rechnen. Wir sehen es ja in Deutschland: Der Trend scheint 2022 wieder klar zu Reisen ins Ausland zu gehen. Die Menschen, die nach diesen zwei Pandemiejahren zu uns nach Hessen kommen, haben sich während dieser Krisenzeit aber verändert. Es gibt ein neues Reisebewusstsein, auch Themen und Wahrnehmungen haben sich verschoben. Unsere touristischen Akteure auf diesen Moment des internationalen Restarts richtig vorzubereiten, planen wir im Hintergrund daher schon seit letztem Jahr.

Was genau also verbirgt sich hinter dem GästeNavi?

Lang: Es geht darum, die hessischen Betriebe fit für den ausländischen Gast zu machen. Neben sehr konkret unterstützenden Tools wie einem Übersetzer für Speisen auf Menükarten ins Englische, dem „Übersetz’Mahl“, geht es viel um die Vermittlung von interkulturellem Know-how, also auch von Erwartungen. Wie tickt der Niederländer? Wie der Schweizer? Und was sind No-Gos im Umgang mit Chinesen oder US-Amerikanern? Vor allem geht es darum, die Bedürfnisse von Gästen aus dem Ausland besser zu verstehen. Die Plattform richtet sich dabei an vier Gruppen: Gastronomie, Beherbergungsbetriebe, Tourist-Informationen sowie Freizeit- und Kulturanbieter. Für sie sind neben Marktforschungsdaten zu den Quellmärkten auch Zielgruppeninformationen, Handlungsleitfäden, Marketing- und Vertriebstipps sowie Reisetipps kostenlos abrufbar. Besonders wichtig bei der Gestaltung war, dass das Angebot sehr niedrigschwellig zugänglich und von inhaltlicher Seite her relevant ist, weshalb es auch die Weltsprache Englisch nutzt. Nur für sehr wenige Services muss man sich registrieren. Das Allermeiste ist jederzeit für jeden erreichbar.

Adams: Die vier genannten Zielgruppen – Gastronomie, Beherbergungsbetriebe, Tourist-Informationen sowie Freizeit- und Kulturanbieter – werden auf der Plattform direkt angesprochen. Hier findet also keine Universalansprache zu allgemeinen Themen statt, sondern es wird wirklich konkret. Denn machen wir uns nichts vor: So ein Portal ist kein Selbstläufer. Wer sich als Vermieter oder Restaurantbesitzer beim ersten Besuch auf gaestenavi-hessen.de nicht richtig abgeholt fühlt, wird das Portal auch in Zukunft nicht nutzen. Wir haben daher sehr darauf geachtet, den Nutzwert für die jeweiligen Akteure individuell sichtbar zu machen.

Wie genau?

Adams: Gleich auf der Startseite findet sich ein Qualitäts-Check. Anonym kann man hier 12 Fragen mit Ja oder Nein beantworten und bekommt am Ende sofort ein Ergebnis, das einem zeigt, wo man sich im Umgang mit dem internationalen Gast noch verbessern sollte. Und auch gleich, wo man diese Informationen im GästeNavi findet! Der Qualitäts-Check ist sozusagen eine Art individuelles Onboarding für die Plattform.

Woher weiß die Plattform eigentlich bei den interkulturellen Tipps, wie „der Niederländer“ oder „die Schweizerin“ ticken? Also ohne in Klischees abzugleiten?

Adams: Das ist natürlich die große Herausforderung. In erster Linie sind das viel Arbeit und Erfahrung. Wir von Tourcomm Germany bearbeiten seit 17 Jahren ausländische Quellmärkte in all ihren Facetten. Um das erfolgreich zu tun, haben wir hier Regale voller Literatur, Verhaltensstudien und auch ganz banale Bücher über Fettnäpfchen, in die man während seiner Reisen in die Länder dieser Welt treten kann. Land für Land haben wir dann das Wichtigste für die verschiedenen Zielgruppen bzw. die touristischen Akteure herausgefiltert. Um eben nicht ins Klischee abzugleiten, haben wir für die Quellmärkte handfeste Handlungsempfehlungen für den internationalen Gast abgeleitet. Beispiel: Wenn ein Gastronom bemerkt, dass seine Gäste am Tisch aus der Schweiz kommen, dann kann er davon ausgehen, dass diese es nicht aufdringlich, sondern gut finden werden, wenn er ihnen proaktiv Weinvorschläge zum Essen macht – und zwar auch im höheren Preissegment. Wer Gäste aus den Niederlanden hat, muss in der Regel nicht um den heißen Brei herumreden, sondern darf gerne schnell und direkt auf den Punkt kommen. Und wer z.B. Gäste aus Großbritannien oder den USA hat, die den Wellnessbereich nutzen wollen, sollte dezent auf die Saunagepflogenheiten hinweisen, weil man in diesem Quellmarkt eben nicht nackt in die Sauna geht.

Lang: Genau diese konkreten Tipps zum Verhalten gegenüber dem internationalen Gast machen das GästeNavi so wertvoll und sorgen bei den Reisenden dafür, dass man zum Beispiel als Hotel in guter Erinnerung bleibt. Auf die Umgangsformen seiner Gäste eingehen zu können – das macht einen guten Gastgeber aus. Es geht also um interkulturelles Verständnis. Wenn man das seinem Gast spürbar entgegenbringt, werden aus Gästen am Ende auch Botschafter für unsere zehn Regionen. Denn am Ende geht es natürlich auch um Wertschöpfung – und dass wir mehr Gäste für Hessen begeistern wollen.

Für den Städtetourismus und das MICE-Geschäft spielte der internationale Gast traditionell immer eine wichtige Rolle, für die ländlichen Gegenden eher wenig. Kann es hier zu Verschiebungen kommen?

Lang: Die stärkere Verknüpfung von Stadt und Land ist in jedem Fall ein klares Ziel unseres strategischen Marketingplans. Städtische Angebote werden von uns künftig stärker mit Angeboten im Umland verzahnt. Und mit unserem „Hesse MICE Net“ tun wir das auch schon erfolgreich im Tagungs- und Kongressbereich. Es muss ja kein Automatismus sein, dass Veranstaltungen immer in einem städtischen Kongresshotel stattfinden. Man kann ein Incentive auch in Kloster Eberbach oder anderen tollen Locations im Grünen machen. Das kommt bei internationalen Firmen wie wir seit dem GTM 2019 wissen sehr gut an. Auch für das Storytelling sind Tagungen an besonderen Orten besonders interessant.

Internationale Reisen sind in der Regel Flugreisen. Die Politik fordert aber auch vom Tourismus mehr Nachhaltigkeit ein. Wie bekommt man dem Wunsch nach mehr ausländischen Gästen mit mehr Klimaschutz zusammen?

Lang: Zunächst einmal fokussieren wir uns landesseitig im Moment bei unseren endkundenorientierten Marketingmaßnahmen auf den DACH-Raum. Wir adressieren also derzeit kaum ferne Märkte. Wir können aber niemandem verbieten, sich in ein Flugzeug zu setzen oder auffordern, seinen CO2-Ausstoß zu kompensieren. Was wir aber tun können, ist, unsere internationalen Gäste willkommen zu heißen und den Aufenthalt bei uns so nachhaltig wie möglich zu gestalten. Und da sind wir aktiv dran! Zum Beispiel arbeitet unsere Partnergesellschaft, die Tourismus Management Hessen UG, gerade daran, Hessen in Kooperation mit TourCert zur Nachhaltigen Reisedestination zu entwickeln. Wir reagieren damit auf das veränderte Bewusstsein der Reisenden, das sich während der Pandemie verstärkt herausgebildet hat. Und wir als Hessen Agentur ermutigen unsere Betriebe, sich hier ebenfalls zu engagieren.

Wagt jemand eine Prognose, was 2022 für ein Tourismusjahr wird?

Adams: Ich weiß von Veranstaltern aus den USA, dass viele Amerikaner zurzeit sehr zurückhaltend sind mit Reisebuchungen nach Europa. Für viele US-Bürger, die beim Reisen aufgrund der Größe ihres eigenen Landes in ganz anderen Dimensionen als wir denken, ist in Europa gerade Krieg. Wer schon gebucht hat, zum Beispiel die Passionsfestspiele in Oberammergau, wird aber wahrscheinlich reisen. Ich sehe zudem für innereuropäische Reisen eine Renaissance des Autos. Nicht aus Bequemlichkeit, sondern weil man mit dem eigenen Wagen jederzeit wieder nach Hause kommt und das Risiko mindert, von einer Airline plötzlich nicht mitgenommen zu werden, weil ein Coronatest positiv ausfällt oder sich plötzlich Ein- und Ausreisebestimmungen ändern.

Lang: Gäste von außerhalb der EU werden mit Buchungen noch zurückhaltend sein. Viele werden abwarten, wie sich der Krieg in der Ukraine mit Russland weiterentwickelt. Und die Pandemie ist auch noch nicht vorbei. Aber für die EU-Märkte und allen voran aus unseren direkten Nachbarländern erwarte ich ein gutes Jahr.


Dieser Artikel ist im neuen TN-Deutschland Magazin erschienen. Das ganze Magazin zum Nachlesen gibt es HIER