5 Fragen an Petra Hedorfer, Vorsitzende des Vorstandes der Deutschen Zentrale für Tourismus (DZT)

NACHHALTIGKEIT IM FOKUS

Hinter uns liegen zwei Jahre Pandemie mit vielen Herausforderungen. Wenn Sie auf 2021 zurückblicken: Was war das für ein Jahr fürs deutsche Incoming?

Vor allem das erste Halbjahr mit dem langen Lockdown war für viele touristische Unternehmen erneut außerordentlich schwierig. Viele engagierte Unternehmer stehen vor großen finanziellen Herausforderungen, das finde ich sehr bedrückend. Zu den Zahlen: Wir schließen das Jahr 2021 mit 31 Millionen internationalen Übernachtungen ab. Das sind zwar noch einmal 3,1 Prozent weniger als 2020. Aber der Abwärtstrend hat sich deutlich verlangsamt. Vor allem die rege Nachfrage aus europäischen Quellmärkten und den USA in den Sommermonaten kompensierte einen Großteil der Verluste aus dem ersten Halbjahr. Damit eröffneten sich durchaus gute Perspektiven. Die Umfragen von IPK International aus diesem Januar belegen eine kontinuierlich steigende Reisebereitschaft. Demnach kommen für 80 Prozent der Befragten 2022 Auslandsreisen infrage – im Januar 2021 lag der vergleichbare Wert bei 62 Prozent. Gleichzeitig ist die Zahl derer, die nur im eigenen Land verreisen wollen, von 24 auf 14 Prozent gesunken. Und die Zahl der Nicht-Reisenden hat sich von 14 auf 6 Prozent reduziert.

Jetzt, wo es endlich kaum noch Reisebeschränkungen gibt, gibt es Krieg in Europa. Was bedeutet der Konflikt zwischen Russland und der Ukraine für die Recovery des Incoming-Tourismus und konkret für die Kampagnenplanung der DZT?

Wir sind tief betroffen von dem brutalen Angriff auf die Ukraine. Europa blickt auf eine lange Erfolgsgeschichte des Tourismus, die auf kulturellem Austausch und friedlichem Miteinander der Völker beruhte und wirtschaftlichen Wohlstand schaffte. Die Herausforderungen für eine rasche Erholung des Incoming-Tourismus aus der Corona-Krise sind durch die Auswirkungen des Ukraine-Kriegs größer geworden. Bezogen auf den Angriff Russlands gegen die Ukraine hat es Bundeswirtschaftsminister Habeck auf den Punkt gebracht: „Es gibt kein besseres Gegengewicht zum Krieg als Tourismus.“ Mit dem Start unserer Kampagne German.Local.Culture. setzen wir ein deutliches Zeichen für einen friedlichen und völkerverbindenden Tourismus, für Weltoffenheit und Toleranz. Die Kampagne präsentiert authentische, lokale Erlebnisse in urbanen Destinationen mit Einbindung des ländlichen Raums und dessen nachhaltigen touristischen Angeboten. Ziel ist es, Deutschland als Destination für längere Urlaubsaufenthalte für kulturinteressierte Reisende ebenso wie für Familien und Aktivurlauber in den Quellmärkten zu bewerben.

Das Thema Nachhaltigkeit steht also im Fokus?

Die DZT fördert einen nachhaltigen und zukunftsgerichteten Tourismus in Einklang mit der Zielsetzung der Bundesregierung. Nachhaltigkeits- und Digitalisierungsthemen stehen beim Restart im Fokus. Das Thema Nachhaltigkeit ist seit über einer Dekade ein zentrales Thema und wird in allen Unternehmensbereichen strategisch ressortübergreifend bearbeitet. Dabei verfolgt die Organisation eine Drei-Säulen-Strategie, die den externen Wissenstransfer und einen begleitenden Kommunikationsansatz mit einer organisationsinternen Nachhaltigkeitsinitiative koppelt. Die DZT besetzt das Zukunftsthema eines verantwortungsbewussten Tourismus, indem sie das Reiseland Deutschland im internationalen Wettbewerb als Reiseziel mit nachhaltigen und inklusiven Angeboten positioniert. Mit dem Ausbruch der Corona-Pandemie hat sich der Wertewandel zu mehr sozioökologischer Verantwortung im internationalen Reiseverhalten verstärkt.

An welchen weiteren Themen arbeitet die DZT derzeit?

Die DZT ist Schrittmacher bei der Implementierung immersiver Technologien, bei der Nutzung von Conversational Interfaces sowie KI-Anwendungen. Um die Sichtbarkeit touristischer Angebote auf KI-gestützten Vermarktungsplattformen zu sichern, koordiniert die DZT das gemeinsame Open Data-Projekt der deutschen Tourismuswirtschaft zur Entwicklung eines Knowledge Graphen. Dieses Dateninfrastrukturprojekt wird auch unsere Anstrengungen zur Weiterentwicklung Deutschlands als nachhaltige Destination unterstützen. Beispielsweise helfen uns offene Daten bei einer intelligenten Lenkung von Besucherströmen. Das entlastet die Umwelt und schafft für die Gäste noch eindrucksvollere Erlebnisse. Kurz: Nachhaltigkeit und Digitalisierung zusammen ermöglichen mehr Qualitätstourismus.

Wie ist Ihre Prognose für das Incoming für das laufende Jahr?

Der Beginn des Krieges traf uns in einer Situation, in der wir gerade Chancen auf eine schrittweise Erholung des internationalen Tourismus und damit auch des deutschen Incoming-Tourismus aus der Corona-Krise heraus sahen. Wir können derzeit nicht abschätzen, wie sich die Situation zwischen den Konfliktparteien weiterentwickelt. Völlig offen ist aus heutiger Sicht vor allem, inwieweit sich der Krieg auf die wirtschaftliche Situation und das Outbound-Reiseverhalten insbesondere in den westlichen Anrainerstaaten Russlands und der Ukraine, aber auch in weiteren europäischen Ländern auswirken. Von unseren Übersee-Quellmärkten wissen wir, dass Sicherheitsfragen auch Reiseabsichten dämpfen können. Entsprechend ist eine seriöse Vorhersage derzeit schwierig. Steigende Mobilitätskosten verteuern dazu jetzt das Reisen. Das kann den grenzüberschreitenden Tourismus und damit auch das
Incoming belasten. Im Flugverkehr führen Schließungen des Luftraums zu geänderten Flugrouten. Je nach Ziel und Route sind längere Flugzeiten notwendig. Die Entwicklung in den nächsten Wochen bleibt also abzuwarten.


Dieser Artikel ist im neuen TN-Deutschland Magazin erschienen. Das ganze Magazin zum Nachlesen gibt es HIER