Benjamin Buhl, Geschäftsführender Gesellschafter netzvitamine GmbH

Ein Gespräch über das DestinationCamp als eine der wenigen physischen Branchenveranstaltungen 2020, den Mut Dinge gemeinsam in schwierigen Zeit anzupacken und das Akzeptieren von Polaritäten im Tourismus, und die neue netzvitamineAKADEMIE, die im Januar startet.

 

Das 10. DestinationCamp war ein Jubiläum, das niemand so schnell vergessen wird. Während alle anderen Veranstalter ihre Branchenevents abgesagt haben, habt ihr auf eine Präsenzveranstaltung gesetzt. Rückblickend die richtige Entscheidung?

Auf jeden Fall. Erst recht, weil uns im Nachhinein bewusst geworden ist, wie wichtig dieses Live-Event für die Teilnehmer war – wie bedeutsam, in der Krise wirklich zusammenzukommen. Uns haben nach dem Camp Feedbacks erreicht wie „Danke für ein 3 Tage Lebensqualität“. Das gab es so noch nie. In den Jahren davor sind wir für die Organisation, unsere Moderatoren, für die Abendlocation, kurzum für alles Mögliche gelobt worden – aber für wiedergewonnene Lebensqualität… das hat uns gezeigt, wie wichtig diese Zeit in Hamburg war. ZOOM & Co. können die Diskussionsqualität eines echten Events nicht ersetzen. Ich gehe sogar soweit, dass uns durch diese Online-Kultur, an die wir uns natürlich alle gewöhnt haben, ein Stück wichtige Streitkultur verloren zu gehen droht. Um Lösungen und die besten Ideen muss manchmal wirklich gerungen werden. Nirgendwo geht das besser, als wenn Menschen sich physisch treffen.

 

Um alle geforderten Auflagen umzusetzen, habt ihr viel Kreativität bewiesen. War das auch als Signal an die Branche gedacht, dass man sehr viel schaffen kann, wenn man nur agil bleibt, verlässlich ist und richtig kommuniziert?

Das Fazit des 2019er Camps war „Challenge accepted“. Dass ein Leitthema einmal so in die Zukunft weisen könnte, hätte keiner ahnen können. Und gerade wir als netzvitamine, die sich selbst immer als aktiver Partner ihrer Kunden verstehen, können nicht letztes Jahr die Veranstaltung mit diesem Motto beschließen – und dann 2020 den Kopf einziehen. Auch die Keynote dieses Jahr hat unterstrichen, wie wichtig es ist, dass man mit Rückschlägen immer wieder umgehen muss. Uns haben die Behörden wenige Stunden vor Beginn des DestinationCamp 2020 den kompletten Ablauf mit verschärften Hygiene-Regeln nochmal auf den Kopf gestellt. Wir mussten uns über Nacht ein neues Konzept ausdenken. Und trotzdem: Alle haben mitgezogen! Es war beeindruckend zu sehen, wie viel Vertrauen da ist, wenn jemand selbstbewusst eine Lösung anbietet und dann auch vorangeht. Hätten wir vorher 100 Leute gefragt: durchführen oder absagen? 80 hätten zur Absage geraten. Uns hat dieses Jahr darin bestärkt, dass man einfach Mut haben und machen muss. Machen!

 

Zum Hygienekonzept gehörte, dass man die Sessions nicht mehr selbst wechseln konnte. Wie haben sich die festen „Reisegruppen“ bewährt?

Das Hygiene- und Schutzkonzept als Gruppenreisen durchzuführen, kam uns als Touristikern und Profis in Sachen Pauschalreisen ja schon fast entgegen (lacht). Spaß beiseite: Wir mussten uns natürlich nun erstmals für jede Gruppe einen thematischen Session-Ablauf überlegen. Idealerweise sollte alles irgendwie aufeinander aufbauen und am Ende zu guten Ergebnissen führen. Das war wirklich sehr komplex! Vor uns auf dem Boden lagen die ganzen ausgeschnittenen Themenkarten und wir haben hin und her sortiert, bis es passte. Und wie sich zeigte: Die Ergebnisqualität war dadurch nicht schlechter! Im Gegenteil: Weil sich diesmal nicht jeder nur mit seinen Lieblingsthemen beschäftigen durfte, kamen noch einmal ganz andere Aspekte in die Diskussionen. Früher waren in den Tech-Sessions beispielsweise oft überwiegend jene, die sich genau dafür stark interessierten. Diesmal war die Mischung in den Sessions viel bunter und auch manchmal kritischer. Das war bereichernd. Vielleicht kann man das eine oder andere, das sich 2020 an dem Gruppenreisekonzept als positiv bewährt hat, sogar weiterentwickeln. In dem Sinne können sich jetzt schon alle auf die neue WERKSCHAU freuen, die Ende Dezember als Rückblick und Zusammenfassung auf das Camp herauskommt.

 

Zu den Themen: Um was ging es in den Sessions?

Wichtig war uns zunächst einmal, dass wir wegen der Pandemie nicht jede Session zu einer Krisenrunde machen. Denn viele Themen gehen ja auch ohne Krise weiter und waren schon vorher da. Open Data zum Beispiel haben wir schon 2012 das erste Mal auf dem DSTNCMP diskutiert. Als das 2018 so richtig im Deutschlandtourismus ankam, war das Thema für uns gefühlt schon immer dagewesen. Es ging dieses Jahr auch wieder um viele digitale Themen, um Automatisierung und Vertrieb beispielsweise. Auch die Rolle der DMO wurde erneut intensiv und aus vielen Perspektiven diskutiert, etwa als Arbeitgeber. Es ging um die Themen Einwohner, Region und den Heimatbegriff. Denn wem gehört die Heimat und warum haben nur wir Deutschen ein Wort für das Gefühl? In diesem Kontext ging es dann auch um Konflikte und um Polaritäten, die wir in Systemaufstellungen verbildlicht haben. Am Ende stand die Erkenntnis, dass wir Polaritäten anerkennen und manche Konflikte aktiv annehmen müssen, weil wir sie nicht auflösen können. Einfachstes Beispiel hierfür: Wenn ich viele Gäste in der Destination haben möchte, werde ich um Overtourism-Diskussionen an neuralgischen Punkten nicht herumkommen. Und es wird gewisse Konflikte mit den Einheimischen geben. Punkt. Wir müssen also lernen, in Polaritäten zu leben und Regionen im Gleichgewicht zu halten.

 

Am Ende der Veranstaltung stand als zusammenfassendes Fazit „Mit Haltung gestalten“. Wie kam es dazu?

Das diesjährige Fazit aus der Veranstaltung herauszulösen, war eine besondere Aufgabe. Es gab nicht sechs stringente Themenstränge, in denen sich am Ende in der jeweiligen Szenario-Werkstatt etwas verdichtete, sondern 18 Gruppenergebnisse plus 6 Ergebnisse aus den Szenario-Werkstätten. Wir mussten dann anerkennen, dass es nicht darum geht, etwas zu finden, was überall gleichermaßen genannt oder ausgesprochen wurde, sondern auf Dinge zu achten, die überall gleichermaßen als Tenor spürbar gewesen sind. So kamen wir auf „Mit Haltung gestalten“. Es bedeutet, Fakten anzuerkennen, trotzdem auf seinen Bauch hören zu dürfen, seine Meinung zu haben und kein Fähnlein im Wind zu sein. Es bedeutet, seinen Grundwerten treu zu bleiben und aktiv zu gestalten. Und auch, dass nicht alles immer bis zum Schluss ausdiskutiert sein muss, bis man es macht. Das diesjährige Fazit hat also eine starke Gefühls- und Werteebene und einen Appell zur Umsetzung.

 

In Kürze erscheint die WERKSCHAU als umfassender Rückblick auf das DSTNCMP20. Wie umfangreich ist das Magazin diesmal?

Mit 132 Seiten ist die diesjährige WERKSCHAU ein echt großes Magazin geworden. Es lohnt sich in meinen Augen mehr denn je auch für alle Teilnehmer, hier noch einmal das Diskutierte und die Ergebnisse aus den Sessions nachzulesen, weil man die Sessions ja nicht wechseln konnte. Und für alle, die dieses Jahr auf dem DestinationCamp nicht dabei sein konnten, ist es die gewohnt starke Lektüre, um auf den neuesten Stand zu kommen, viel über Trends zu erfahren und wichtige Impulse für die alltägliche Arbeit mitzunehmen. Das Highlight und Novum in diesem Jahr: die wichtigsten und aus unserer Sicht relevantesten Ergebnisse verlängern wir nun in den Praxisalltag und vertiefen sie dort mit Vordenkern und Gestaltern in der neuen netzvitamineAKADEMIE, die im Januar startet. Die dort erarbeiteten Erkenntnisse können dann im April zurück ins DSTNCMP21 fließen und überprüft werden. Unter netzvitamine.de/akademie gibt es dazu alle Infos und die Buchungsmöglichkeit.

 

2021 plant ihr das Camp wieder als „echte“ Veranstaltung. Was erwartet die Teilnehmer an Neuem – ihr habt ja einen kleinen Relaunch angekündigt.

In jedem Fall werden wir uns vom 20. bis 22. April wieder live treffen. Es wird also in jedem Fall eine physische Veranstaltung. Und wir bleiben in Hamburg. Was auch gleich bleibt, ist der Spirit des DestinationCamp. Dafür stehen wir als netzvitamine. Was sich ändert, will ich noch nicht im Detail verraten. Aber es werden Dinge sein, die man nicht sofort merkt, sondern erst spürt, wenn man danach wieder zuhause sein wird. Wir arbeiten daran, dass man noch mehr mitnimmt von der Zeit, die wir zusammen miteinander verbringen. Wer uns kennt, der weiß, dass wir das Camp in den vergangenen 10 Jahren an den sofort sichtbaren Faktoren immer weiterentwickelt haben: Organisation, Abläufe, Location, Catering, Moderierende usw. Nun sind wir an einem Punkt, wo Grenzen erreicht sind. Aber inhaltlich, beim Spürbaren, beim Aufbau und dem Ablauf der Werkstätten können wir noch anders werden. Und auch bei der Art und Weise, wie Ergebnisse entstehen, gibt es noch Möglichkeiten. Dabei spielen auch ganz andere Locations eine Rolle. Dabei sein lohnt sich also wieder, ein paar Tickets gibt es noch auf destinationcamp.com.