Ulrich von dem Bruch, Geschäftsführer Lüneburger Heide GmbH

Ein Gespräch über Best Ager als Zielgruppe, in der das Alter keine Rolle mehr spielt, junge Menschen, die plötzlich Roy Black gut finden und die Gründe, warum die Lüneburger Heide den Wegen der Ameisen folgt, um ein Trendziel zu sein.

 

Herr von dem Bruch, das Image der Region war lange von Roy Black und seinem Schlager „Auf der Lüneburger Heide“ aus dem Jahr 1972 geprägt. Wie ist das Image heute?

Wir messen die Imagewerte alle zwei Jahre. Daher können wir sehr genau sagen, wie sich das verändert. Und wir erkennen, dass in unseren Quellmärkten der Imagewandel bereits begonnen hat. Image ist keine Sache von Jahren, sondern von Dekaden. Auch Roy Black ist Teil unserer DNA, aber es geht darum, diese Wurzeln moderner zu positionieren.

Woran machen Sie das fest, dass sich das Image verändert hat?

Zum Beispiel daran, dass seit ein paar Jahren internationale Firmen Fotoshootings in der Lüneburger Heide machen. Wir hatten Modemarken aus New York ebenso da wie die Zeitschrift Brigitte. Der Heide-Hintergrund ist halt angesagt.

Verjüngt sich die Heide nur auf Hochglanzfotos, oder werden auch die Gäste jünger?

Unser Durchschnittsgast ist 48 Jahre alt. Das ist deutlich jünger als erwartet. Das hat unter anderem damit zu tun, dass das Thema Wandern sehr stark zugenommen hat. Diese Zielgruppe ist einfach jünger.

Was tun Sie dafür, die Lüneburger Heide für neue Zielgruppen attraktiv zu machen?

Wir haben vor vier Jahren mit der GfK ein Projekt angefangen, bei dem es um Roper Consumer Styles, also klassisches Lifestyle-Marketing ging. Wir haben damals erkannt, dass die rein demografische Betrachtung der Zielgruppen nicht mehr funktioniert. Früher hat man um den Best Ager geworben. Der Pool dieser Menschen ist aufgrund der Überalterung in Deutschland aber so gewachsen, dass sich innerhalb der Zielgruppe ganz unterschiedliche Bedürfnisse entwickelt haben. Also mussten wir da etwas tun. Inzwischen ist es uns egal wie alt der Gast ist. Wichtig ist nur, was er möchte und erwartet.

Wie hat sich Ihre Arbeit durch diese neue Sicht auf den Kunden verändert?

Das hat dazu geführt, dass wir für uns vier Reisewelten definiert haben. Wir wissen heute eigentlich alles über unsere Zielgruppen – was sie von uns wollen, wie wir mit ihnen kommunizieren sollen und wie das Sender-Empfänger-Image aussieht.

Was bedeutet das für Ihr Marketing, wenn Sie so viel über Ihre Zielgruppen wissen?

Unser Marketingplan ist viergeteilt. Es gibt keinen Adressaten an alle Zielgruppen gleichzeitig. Denn teilweise schließen sich die Urlaubswünsche schlichtweg aus. Ein Erlebnishungriger will eine Achterbahn sehen, ein Naturliebhaber steht in der Heide nicht unbedingt darauf. Wir kommunizieren deshalb nur noch innerhalb der Zielgruppen. Das beginnt auf unserer Website mit den vier Themenwelten, in denen sich dann die spezifischen Inhalte und Bilder in der entsprechenden Tonalität finden, geht weiter über getrennte Seiten bei Facebook und endet damit, dass wir bestimmte Themen nur in ausgesuchten Medien bewerben.

Wer sind genau Ihre vier Zielgruppen, also die Themenwelten?

Da sind zuerst die Naturliebhaber als Kernzielgruppe der Lüneburger Heide. Hier werben wir um Wanderer, Radfahrer und alle, die wegen der Natur-Kulisse kommen. Zu dieser Reisewelt gehören aber auch Themen wie regionale Küche, Energie und Nachhaltigkeit. Das sind für diese Zielgruppe wichtige Faktoren. Die zweite Zielgruppe bedienen wir über das Thema Erlebnis. Mit 14 Erlebnis- und Freizeitparks sind wir quasi so groß wie Disneyland. Das hat in der Form keine andere Region in Europa. Selbstredend spricht das viele Familien an. Die dritte Zielgruppe sind die weltoffenen Vitalliebhaber, die vierte sind die Städteurlauber.

Wie erfolgt jetzt innerhalb einer Gruppen noch eine genauere Differenzierung?

Ein Beispiel: Wir hatten früher die Idee, dem Naturliebhaber bei drei Tagen Aufenthalt noch ein Leihfahrrad zu geben und eine Karte – und ihm dann einen schönen Aufenthalt zu wünschen. Heute haben wir in dieser Gruppe viele, die zwar gerne mit dem Rad durch die Heide fahren – aber es soll bitte jemand mitkommen.

Wer denn?

Diplombiologen zum Beispiel. Experten, die zu einzelnen Themen mit dem Gast ins Detail gehen. Jetzt geht es also auf den Spuren der Ameise durch die Lüneburger Heide. Edutainment lautet das Stichwort. Daraufhin haben wir alle Naturthemen überprüft, denn mit einem anderen Tiefgang muss auch die Tonalität eine andere werden. Und dann müssen auch mehr Recherchemöglichkeiten bereitgestellt werden. Denn wer sich für Ameisen interessiert, begeistert sich auch für andere Tiere.

Das klingt fast ein bisschen verrückt.

Die Zielgruppe will es aber. Alles soll 1:1 nacherlebbar sein. Da geht es um Authentizität. Zu dieser Gruppe passt gut unser Heidschnuppenweg Heidschnuckenweg: Er führt auf 223 Kilometern von Hamburg bis nach Celle und hat alle Qualitäts-Zertifikate, die man in Deutschland bekommen kann. 2014 wurde die Route vom Wandermagazin zum schönsten Weg Deutschlands gekürt, ein Top-Trail mit ständiger Heidekulisse, der auch bei jungen Menschen zieht.

Wie sieht es in der Zielgruppe der Vitalliebhaber aus?

Nur Wellness ist diesen Reisenden definitiv zu wenig. Bei uns geht es hier deshalb mehr um das Thema Stressbewältigung. Die Leute geben unter der Woche 150 Prozent. Am Wochenende geht es darum, den Akku wieder aufzuladen. Daraus ist ein touristisches Produkt geworden. Dieser Gast will maximal drei Stunden anreisen und lange schlafen. Die festen Frühstückszeiten haben wir in den entsprechenden Hotels daher abgeschafft. Essen on demand, leichte Massagen, gesundes Essen und viel frische Luft sind die Komponenten dieser Drei-Tages-Pakete. Aber auch Klang-Yoga am Fluss und andere esoterische Angebote bauen wir aus.

Was bieten Sie den Städtereisenden?

Celle und Lüneburg sind zwei besondere Städte. Celle hat in seiner Altstadt das größte Fachwerkensemble Europas, alles sehr gut erhalten. Es viele kulturelle Angebote und im Schloss ein Barock-Theater, einzigartig in Europa. Das Ganze wird angereichert durch die Geschichte: So gab es drei englische Könige, die als Kurfürsten aus Celle kamen. Das Schloss war der Ursprung der bis heute guten Beziehung zwischen dem Haus Hannover und London. Und Lüneburg ist aufgrund seiner Hansegeschichte spannend. Die wenigsten wissen, dass es eine Hansestadt war, dabei hatte Lüneburg sogar das Salzmonopol inne.

Woher kommen Ihre Gäste?

Unsere Quellmärkte liegen im Umkreis von drei und vier Stunden. In Bayern und Baden-Württemberg werben wir klassisch noch nicht einmal. Wir haben uns als Kurzreisedestination positioniert. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer liegt bei drei Nächten und vier Tagen. Bei den ausländischen Märkten sind Dänemark, die Niederlande und in zunehmendem Maße auch die Schweiz zu nennen.

Ihr Gästewachstum 2016 war überproportional im Vergleich zu vielen anderen deutschen Regionen. Mit welchen Themen und Schwerpunkten wollen weiter erfolgreich sein?

Wir bleiben unserem Ansatz der Lifestyle-Betrachtung in den Zielgruppen treu. Nur so kommen die richtigen Produkte heraus. Hat man früher erst die Angebote geschaffen und dann geschaut, wie man die Besucher damit lockt, schauen wir heute zuerst darauf, was die Gäste in der Lüneburger Heide wollen – danach bauen wir die passenden Produkte. Diese Strategie verfolgen wir weiter. Ein konkretes Thema, das 2017 so in den Fokus rückt, ist das Barfußwandern. Seit letztem Jahr gibt es die ersten Wege dafür. Und schon jetzt kommen Gruppen, um auf den geprüften Sandwegen zu laufen.

Wie sieht die Bilanz Ihrer neun Jahre als Geschäftsführer bei der Lüneburger Heide GmbH aus?

Vor neun Jahren war die touristische Organisation ein Verein. Dann kam im Auftrag vom Land Niedersachsen ein Gutachten. Mit dem Ergebnis: Wes so weitergehen würde wie bisher, würden hier bald touristisch die Lichter ausgehen, Anhand der Gästezahlen kann man sehen, dass wir das nach der Neuaufstellung erfolgreich in eine ganz andere Richtung gedreht haben. Die Lüneburger Heide liegt heute im Trend und ist deutlicher bei den Kurzreisenden positioniert 7,5 Millionen Übernachtungen 2016 sind dafür ein stattlicher Erfolg. Vor neun Jahren waren es noch zwei Millionen weniger.

Wagen Sie eine Prognose für 2017?

Wir wollen dieses Niveau halten. Mit 400 Hotels, 1000 Ferienwohnungen und 70 Campingplätzen ist das Champions League-Niveau. Bei einer Kurzreise-Destination kommt es aber immer auch auf das Wetter an. Doch alles, was gerade Themen in Deutschland werden, spielt uns künftig in die Karten. Nachhaltigkeit und Natur werden die großen Freizeitthemen, das erkennen wir.. Und das sind wir zu 100 Prozent. Wir haben als einzige Region in Deutschland ein riesiges autofreies Naturschutzgebiet und zwei Naturparks. Das ist so groß und weitläufig, da hören die Besucher keine Geräusche der Zivilisation mehr. Die Natur ist der Star – mit Seeadlern und mit Perlen, die in Flüssen wachsen. Das sind die Kostbarkeiten, die wir herausarbeiten werden.