Sebastian Erb, Leiter Consulting IRS Consult

Ein Gespräch über die Herausforderungen in der Tourismusberatung, das Hype-Thema digitale Gästekarten, und warum hier der Groschen nicht auf DMO-Seite fallen muss – sondern bei den Partnern.

Der Destinationstourismus steht vor großen Herausforderungen: Welche Themen bearbeitet IRS Consult in der Beratung?

Wir fokussieren uns neben der touristischen Marktforschung vor allem auf die Themen Gästekartenkonzeption und Meldewesen inkl. der angrenzenden Bereiche – was allein schon wegen der dazugehörigen Abrechnungsmodelle, rechtlichen Thematiken und dem Datenschutz vielseitig ist. Bei den „angrenzenden Bereichen“ geht es aktuell v.a. um sinnvolle Integrationsmöglichkeiten von ÖPNV- und Mobilitätsleistungen als Leistung auf einer Gästekarte. Da sowohl Gästekarten als auch das Meldewesen inzwischen sehr digitale Themen sind, geht es bei uns viel um die technologische Vernetzung von komplexen Systemen bzw. Anwendungen. Diese haben neben der Marketingfunktion bei der Optimierung von Abläufen ein wichtiges Ziel: den Kommunen, Organisationen und Betrieben Ressourcen zurückzugeben. Denn gute digitale Prozesse helfen dabei, fehlende Fachkräfte abzufedern. Aus typischen und eher allgemeinen Beraterthemen wie Strukturoptimierung oder Tourismuskonzeptionen haben wir uns aber vor Jahren schon bewusst verabschiedet.

Das Thema digitale Gästekarte nimmt gerade gehörig Fahrt auf, weil hier sehr vieles möglich. Wie hoch ist aufgrund der Komplexität der Beratungsaufwand?

Tatsächlich sind die Einsatzmöglichkeiten digitaler Gästekarten enorm: Vom Kunden- und Partnerbindungsinstrument über Marketing- und Analysezwecke bis zur aktiven Besucherlenkung reicht das Spektrum. Die Frage, die uns dabei beschäftigt, lautet aber zuerst immer: Wie kommt eine Destination da hin? Denn nicht überall gibt es Akteure mit Produkten, die sich in einer Card bündeln lassen. Auch muss erst einmal berechnet werden, welches Kartenmodell sich als sinnvoll und tragfähig erweist– bzw. welche Effekte man damit auslösen könnte. In der Konzeptionsphase jedenfalls passiert es ganz oft, dass die Partner vor Ort sich erstmals richtig kennenlernen. Schon auf dem Weg zur Karte passieren dann teils erstaunliche Dinge – so entstehen etwa ganz neue Ideen und Kooperationen zwischen Akteuren. Erst einmal eine Plattform zu schaffen, damit sich in einer Region die Zusammenarbeit verbessert, ist sozusagen die Basisarbeit, die ein Card-Projekt leistet. Obwohl, und das muss man auch ehrlich sagen: Es kann sein, dass wir am Ende zum Ergebnis kommen, dass die Einführung einer Karte wenig Sinn macht. Die Gründe dafür können je nach Region unterschiedlich sein.

Worauf kommt es bei guter Beratung im Tourismus an?

Ich finde es wichtig, keine klassische Auftraggeber-Auftragnehmer-Atmosphäre zu schaffen. Das alte Projektdenken mit klar definiertem Start- und Endpunkt ist oft weder zeitgemäß noch zielführend. Zwar hat jedes Projekt ein Ende und das geplante Budget ist irgendwann aufgebraucht. Um aber wirklich gut arbeiten zu können, muss man Teil des Teams werden. Erst dann versteht man, warum Dinge in einem bestimmten Umfeld laufen wie sie laufen. Viel hängt nach wie von den handelnden Personen ab: Man muss als Beratung also verstehen, wie die Verantwortlichen ticken. Wenn wir es dann schaffen, in die Rolle eines echten Partners zu gelangen, werden das erfahrungsgemäß die erfolgreichsten Projekte. Dabei geht es uns ums „gemeinsame Umsetzen“ und operative Handlungen und nicht nur um ein weiteres Konzeptionspapier für die Schublade.

Nur Partner sein reicht oft nicht. Wo liegen bei einem Card-Projekt die größten Herausforderungen?

Vorweggeschickt: Was wir auf Destinationsseite sehen, ist meist eine große Motivation, die Projekte hinzubekommen. Auch an der Finanzierung oder den Rahmenbedingungen scheitert es in der Regel nicht. Ein großes Thema sind bei Card-Projekten dagegen die Leistungspartner.  Wenn die Gastgeber vor Ort den Wert der Karte nicht begreifen – oder verstehen wollen –, dann wird es nichts mit einem Umlagemodell. Und wenn es die Destination nicht schafft, die wichtigsten Attraktionen für das Projekt zu begeistern, ist auch eine Kaufkarte nur schwer umsetzbar. Der Groschen muss also nicht bei der DMO fallen, sondern oftmals auf der Seite der potenziellen Leistungspartner. Ziel sollte es immer sein, den unterschiedlichen Akteuren und Stakeholdern der Destination geduldig die Vorteile transparent zu machen – in Marketing, Sichtbarkeit/Angebotstransparenz und Buchbarkeit, um eben dann Teil einer leistungsfähigen, DMO-weiten Vertriebsplattform zu werden.

Die IRS Consult verlost gemeinsam mit TN-Deutschland zwei DMO-Workshops. Auf welches Projekt hätten Sie in der Beratung mal richtig Lust?

Ich würde gerne einmal ein Projekt begleiten, das nicht top-down initiiert wird, sondern von der Partnerseite ausgeht. Wenn es zum Beispiel ein Projekt wäre, das von Beginn an einen Mobilitätsanbieter plus die zwei oder drei wichtige Attraktionen an Bord hat, könnten sich daraus starke Dynamiken entwickeln. Im besten Fall sogar die Idee für eine Card, die über den Tourismus hinaus den örtlichen Handel und vielleicht sogar Arbeitgeber einschließt – und sich damit auch gezielt an die Einheimischen richten würde. Ob so ein Projekt gelingen könnte? Mich würde so eine Ganzheitlichkeit in einer Konzeption reizen.


(13.06.2023)