Petra Hedorfer, Vorsitzende des Vorstandes der DZT

Ein Gespräch über das Incoming-Geschäft in Krisenzeiten, antizyklische Werbemaßnahmen als Teil der Recovery-Strategie, und wie sich Deutschland trotz internationalem Ausnahmezustand 2020 zum beliebtesten Reiseziel der Europäer entwickeln konnte.

Frau Hedorfer, 2021 läuft bislang schlechter als noch in den ersten großen Recovery-Studien Mitte 2020 prognostiziert. Der Deutschlandtourismus könnte wegen des komplett ausgefallenen ersten Quartals sogar noch einmal tiefer in die roten Zahlen rutschen als 2020. Was erwarten Sie allgemein für ein Reisejahr 2021?  

Mit Blick auf die Entwicklungen im Herbst 2020 war klar, dass 2021 ein Übergangsjahr wirdWir haben gelernt, dass uns das Corona-Virus disruptiv vor immer neue Situationen und Herausforderungen stellt. 2020 verzeichnete der Incoming-Tourismus Milliardenverluste, insgesamt sind rund 60 Millionen weniger internationale Übernachtungen im Vergleich zu 2019 zu bilanzieren – ein herber Rückschlag. Die Strahlkraft der Marke „Germany – Simply Inspiring“ und eine überraschend schnelle Erholung der Anrainerstaaten vergangenen Sommer spiegeln uns nicht nur eine weiterhin große Reiselust. 2020 konnte Deutschland trotz der Pandemie Marktanteile gewinnen und präsentiert sich noch vor Spanien und Österreich als beliebtestes Reiseziel der Europäer mit 23,9 Millionen Reisen und einem Marktanteil von 13,6 Prozent. Unser Ziel ist es, 2021 diese Position zu halten und weiter auszubauen. 

Für das zweite und dritte Quartal setzen wir bereits auf eine leichte Erholung. Darauf weisen die Studien hin, die uns derzeit vorliegen: Die Auslandsreiseabsichten weltweit sind laut IPK International von 50 Prozent im Mai 2020 auf 62 Prozent im Januar 2021 gestiegen. In den für unser Incoming sehr wichtigen Anrainerstaaten, wie der Schweiz, Österreich, Polen und den Niederlanden sind die Reiseabsichten konkret auf Deutschland bezogen sogar überdurchschnittlich ausgeprägt. Aber damit aus Reiseabsichten reale Besucher werden, müssen alle Rahmenbedingungen zusammenpassen. 

 

Deutschland galt während der ersten „Welle“ als internationaler Musterschüler in Sachen Corona, genoss hohes Vertrauen im Ausland, das Krisen-Management galt als vorbildlich. Inzwischen kommt aus dem Ausland viel Kritik, etwa an eigenmächtigen Grenzschließungen und Kontrollen. Wie blickt das Ausland derzeit auf das Reiseland Deutschland?

Tatsächlich konnten wir in der ‚ersten Welle‘ eine große Zustimmung für das Krisenmanagement registrieren. Diese galt einem Kurs, der im internationalen Vergleich sehr von Flexibilität und Abwägung notwendiger Maßnahmen gekennzeichnet war. Auch, wenn Corona-Auflagen in vielen Ländern weiterhin Alltag sindist die Beliebtheit Deutschlands als touristische Destination nach wie vor hoch. Dafür sind die Reiseabsichten ein guter Indikator.
Bei den Reiseabsichten liegt Deutschland in der jüngsten Befragungswelle der Covid 19-Studie von IPK International in den 18 wichtigsten Quellmärkten Deutschlands weltweit weiterhin in der Spitzengruppe auf dem zweiten Platz nach Spanien und vor Italien, Frankreich und den USA. 

 

Wie sieht es in Sachen Restart speziell für das Incoming aus? 

Hier möchte ich eine Lanze für die Branche brechen. Die Touristiker haben ihre Hausaufgaben gemacht im Hinblick auf die Themen Sicherheit, Hygienekonzepte, Besucherlenkung vor Ort durch digitale Tools, seamless und touchless Travel an allen Punkten der Customer Journey. Stufenpläne zur Wiedereröffnung liegen seit Monaten vor. Wie oben beschrieben erleben wir international große Sympathie für das Reiseland Deutschland und eine hohe Absichtsbekundung, uns zu besuchen. Die Strahlkraft der Marke Reiseland Deutschland ist ungebrochen. Dabei ist die Entwicklung des Infektionsgeschehens sicher entscheidend für die Reiseabsichten der internationalen Gäste. Grundsätzlich hoffen wir auf Impfungen, Schnelltests und Deregulierungen von Corona-Auflagen in allen unseren Quellmärkten. 

 

“Die Markendiversität des Reiselandes
Deutschland ist gerade in der Recovery-Phase
ein Wettbewerbsvorteil”

 

Für welche Märkte sehen Sie die besten Chancen, dass sich bald wieder relevante Reiseströme entwickeln könnten?

Ich gehe davon aus, dass ähnlich wie im letzten Jahr unsere europäischen Nachbarmärkte als erste wieder nach Deutschland reisen werden. Wir hören aber auch aus der US-Industrie, dass nicht nur die Nachfrage nach Deutschland im dritten und vierten Quartal steigt, sondern auch Grenzöffnungen im Sommer erwartet werden. Connectivity und Availability von Kapazitäten im Flugverkehr sind natürlich entscheidend. 

 

Die EU hat gerade einen digitalen Impfausweis angestoßen. Was könnte das für den internationalen Flugverkehr bedeuten?

Insgesamt liegen in der Digitalisierung große Chancen – das hat sich in der Corona-Krise deutlich gezeigt. Es gibt heute schon viele Best Practices beispielsweise beim Einsatz digitaler Tools und Anwendungen künstlicher Intelligenz bei der Lenkung und Entzerrung von Besucherströmen. Ein digitaler Impfpass kann als wichtiger Baustein entlang der Customer Journey an allen Touchpoints Prozesse beschleunigen und vereinfachen. Im internationalen Flugverkehr hieße das seamless and touchless Travel von der Buchung über den Checkin am Flughafen und das Boarding bis zu den Grenzkontrollen. Er kann sicheres Reisen in Pandemiezeiten deutlich erleichtern.  

 

Die USA, UK und China sind wichtige Märkte – aber alle auf Flugverbindungen angewiesen. Macht es Sinn, dort aktuell für Deutschland zu werben? 

Das ist sogar ausgesprochen wichtig. Sowohl Chinesen als auch US-Amerikaner favorisieren Deutschland als das Top-Reiseziel außerhalb der eigenen Kontinente. Laut der aktuellen dritten Befragungswelle der Covid 19-Studie von IPK International sind die Auslandsreiseabsichten asiatischer Reisender von Mai 2020 bis Januar 2021 um 41 Prozent gestiegen. Top-Reiseziele der Asiaten 2021 sind demnach Japan (30%), Südkorea (26 %) Deutschland (23 %), Thailand (21 %) und China (19 %)Wir werben im Rahmen unserer Recovery-Strategie ganz bewusst antizyklisch. Zum einen halten wir bei den Konsumenten das Bewusstsein für die Marke Reiseland Deutschland und unser hervorragendes Image wach. Zum anderen pflegen wir unsere Kontakte zu den Trade-Partnern. In der Reiseindustrie wird das sehr genau wahrgenommen, wer auch in der Krise im Markt aktiv ist. Und schließlich müssen wir den Wettbewerb im Auge behalten. Andere Reiseländer in Europa und weltweit wollen schließlich auch post Corona wieder durchstarten und haben die besonders potenzialstarken Quellmärkte im Blick. 

 

Was sind ihren Daten zufolge derzeit die richtigen Themen, um im Ausland Gäste für Deutschland zu gewinnen?  

Wir waren bis zur Krise klar das Kultur- und Städtereiseziel Nr. 1 in Europa. Trotz erheblicher Rückgänge der Übernachtungen um mehr als 70 Prozent in den Städten war das auch unser anteilig stärkstes Marktsegment im vergangenen Jahr. Für 2020 weist der European Travel Monitor von IPK International allein 5,2 Millionen Städtereisen, 1,6 Millionen Rundreisen und 400.000 Eventreisen von Europäern nach Deutschland aus. Dieses Asset wird auch künftig maßgeblich für das Incoming sein.
Die Markendiversität des Reiselandes Deutschland ist gerade in der Recovery-Phase ein Wettbewerbsvorteil. Nach der ETC Sentiment-Studie, Welle 5 (Ende Dezember 20/Anfang Januar 2021) nennen 15,8 Prozent der europäischen Reisenden City Breaks als bevorzugte Urlaubsart innerhalb der nächsten sechs Monate – direkt nach dem favorisierten Sun & Beach-Urlaub. Im Übrigen führen nach dieser Studie europäische Städteliebhaber als Early Birds die Recovery an. Mit 33,4 Prozent sind City Life Enthusiasts die quantitativ größte Gruppe, die innerhalb des nächsten halben Jahres wieder unterwegs sein wollen. Mit unserer weltweiten Kampagne German.Local.Culture. adressieren wir diese Zielgruppe zu unserem fantastischen Angebot. 

 

Was für Themen stehen noch im Fokus?

Wir sehen eine deutlich steigende Sensibilisierung der Kunden für das Thema Nachhaltigkeit. Schon im Herbst 2020 hielten es fast 80 Prozent der Befragten in der Covid 19-Studie von IPK International für wahrscheinlich, dass Corona zu mehr Nachhaltigkeit im Tourismus führen wird.  Auf diesem Feld können wir als Reiseland Deutschland sehr gut punkten: Im SDG-Index, der die Erreichung der Sustainable Development Goals der UNWTO abbildet, liegen wir auf dem 5. Platz von 166 verglichenen Ländern. In unseren wichtigen Quellmärkten Niederlande, Österreich und Schweiz hat der Destination Brand 20 gerade ein signifikant steigendes Interesse an nachhaltigem Urlaub nachgewiesen. Deswegen haben wir unsere Nachhaltigkeitskampagne Feel Good für dieses Jahr deutlich erweitert.  

Auf das Nachhaltigkeitsthema sowie die vielfältigen Angebote in den ländlichen Regionen zahlt auch die weltweite Kampagne German.Spa.Tradition. ein, die wir vom späten Frühjahr an ausspielen. Sie lenkt die Aufmerksamkeit internationaler Touristen auf die mehr als 350 prädikatisierten deutschen Heilbäder und Kurorte mit ihrer Fülle an medizinisch-therapeutischen Anwendungen und präventiven Gesundheitsangeboten. In keinem anderen Land finden Reisende, die auf der Suche nach Erholung, Gesundheit und Wellness-Erlebnissen sind, ein so breites und hochwertiges Angebot vor.  

Themen wie Sicherheit und Verantwortung gegenüber den Gästen spielen selbstverständlich eine zentrale Rolle in der Kundenansprache. 

Daneben arbeitet die DZT 2021 eng mit den deutschen Marketingorganisationen der Bundesrepublik Deutschland, wie z.B. Botschaften und Goethe-Instituten, zusammen. Das Festjahr 1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland wird mit intensiver Pressearbeit und aktualisiertem Content auf unserer Website zum Thema „Germany for the Jewish Traveller“ besonders in den Märkten USA und Israel fokussiert. 

 

Welche Kanäle erweisen sich bei Marketing-Maßnahmen derzeit als besonders effektiv – oder auch welche Art von Kooperationen?

Wir sehen uns als ein ‚first mover‘ bei der Nutzung digitaler Tools im Marketing. Das reicht von der Vermarktung von Angeboten über unsere mehr als 30 Social Media-Kanäle über den Ausbau des Influencer-Marketings oder die Implementierung immersiver Technologien wie Virtual Reality, Mixed Reality oder Augmented Reality bis zu Anwendungen künstlicher Intelligenz, beispielsweise in Conversational Interfaces oder Chatbots. Bei den Kooperationen setzen wir auf einen ausbalancierten Mix von Zusammenarbeit mit den Partnern in der internationalen Reiseindustrie und den globalen Online Travel Companies. Diese arbeiten immer stärker mit KI-Anwendungen, um ihren Kunden maßgeschneiderte Angebote auszuspielen. Auch Start-ups können mit den Daten neue Geschäftsmodelle entwickeln. Deshalb treiben wir das Open Data-Projekt der deutschen Tourismuswirtschaft mit dem Aufbau eines Knowledge Graphen weiter voran. Im zweiten Quartal werden erste Use Cases verfügbar sein. 
(8.3.21)