Markus Tressel: Bei Abstimmung zur Bundesnotbremse „bewusst enthalten”

„Bewusst enthalten”

Die Abgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen haben sich vor einer Woche bei der Abstimmung zur Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes geschlossen enthalten. TN-Deutschland hat sich gefragt: warum? Dazu ein Statement von Markus Tressel, tourismuspolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion.

Bei der Abstimmung am vergangenen Mittwoch habe ich mich bewusst für eine Enthaltung entschieden. Ich habe so abgestimmt, weil ich zwar die die Intention des Gesetzentwurfs begrüße und teile, die Regelungen aber an vielen Stellen nicht ausreichend sind, um den Gesetzentwurf zustimmen zu können, zumal die Koalition dem Änderungsantrag der grünen Bundestagsfraktion die Zustimmung verweigert hatte.

Die pandemische Lage bleibt besorgniserregend. Die Coronamaßnahmen Anfang März ohne die nötigen Schutzvoraussetzungen zu lockern, war ein Fehler, der sich nun bitter rächt. Die dritte Welle ist nicht gebrochen, die Intensivstationen sind am Limit, viel zu viele Menschen werden krank und sterben. Die aktuelle epidemische Lage erfordert seit Wochen unverzügliches und umfassendes Handeln. Eine absehbare Entwicklung, die weiteres Leid erzeugt und für unsere Krankenhäuser und gesamte Gesellschaft zur immer größeren Belastung wird.

Bundesregierung hat die vergangenen Wochen ungenutzt verstreichen lassen

Wir müssen dafür sorgen, dass sich deutlich weniger Menschen an dem gefährlichen Virus und seinen Mutationen anstecken. Es wäre absolut falsch, sich jetzt monatelang noch durchzuwursteln. Die Folge wären sehr konkret: hunderttausende unnötige Krankheiten, viele mit Spätfolgen, tausende vermeidbare Tote.

Die Bundesregierung hat die vergangenen Wochen erst ungenutzt verstreichen lassen und dann mit zu wenig Ambition versucht, die Löcher mit einem Notbehelf zu flicken. Dabei ist es der Bundesregierung auch im 13. Monat der Pandemie nicht gelungen ein schlüssiges und ausgewogenes Gesamtkonzept vorzulegen, mit dem wir das Pandemiegeschehen effektiv in den Griff bekommen.

Es ist richtig, dass nun endlich zumindest eine bundeseinheitliche Notbremse beschlossen wird. Um eine weitere Eskalation der Lage zu verhindern, haben wir uns in zahlreichen Gespräche mit der Großen Koalition für dringende Nachbesserungen an diesem Paket eingesetzt und konnten Verbesserungen erzielen: schärfere Regelungen fürs Homeoffice, stärkere Schutzvorschriften für die Schulen, andererseits Regelungen, die die Notbremse lebenspraktischer und damit umsetzbarer machen.

Dennoch reich diese Notbremse nicht aus. Zu spät handeln wir bereits seit Wochen, jetzt dürfen wir nicht auch noch weiterhin zu wenig tun. Eine zu einseitige Politik, die vor allem Restriktionen für Bildung und Privatleben vorsieht, ist weder konsequent genug, um uns vor der Epidemie zu schützen, noch verhältnismäßig. Angesichts der angespannten Pandemielage stehen wir einer schnellen Umsetzung jedoch nicht im Weg und enthalten uns deshalb bei der Abstimmung zum Gesetzesentwurf.

Es war richtig und wurde von uns seit langem gefordert, die Debatte und den Beschluss von Maßnahmen und Beschränkungen zur Eindämmung der Corona-Epidemie in den Deutschen Bundestag zu holen. Dieser schwache Start aber verdient kein Lob.

Durch ihre Weigerung, die Arbeitswelt wirklich verbindlich in die Pflicht zu nehmen, setzen Union und SPD die Wirksamkeit dieser Bremse aufs Spiel. Es ist absolut unverständlich, dass wir keine verbindliche Testpflicht in der Wirtschaft bekommen, mit der Infektionen am Arbeitsplatz wirksam eingedämmt werden können. Es ist nicht akzeptabel, dass ein großer Teil der Arbeitswelt weiterlaufen darf, fast als gäbe es keine Pandemie, während die Freizeit der Bürger und einzelne Branchen wie Gastgewerbe und Tourismus weiter beschränkt bleiben.

Perspektive für Öffnungen im Tourismus erst, wenn Kontrolle wiedererlangt

Ausgangssperren etwa können aufgrund ihrer freiheitsbeschränkenden Wirkung nur Teil eines schlüssigen Gesamtkonzepts und ultima ratio sein. Durch ihr Zögern in der Arbeitswelt verursacht die Bundesregierung stattdessen eine erhebliche Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Verfassungsmäßigkeit von Ausgangsbeschränkungen. Es fehlt auch an gesetzlichen Ausnahmen für Menschen, die bereits geimpft sind. Die Rücknahme von Beschränkungen für Geimpfte darf nicht im Ermessen der Bundesregierung liegen, sondern bedarf einer zwingenden gesetzlichen Grundlage.

Eine Perspektive für wirkliche, nicht nur kurzfristige Öffnungen im Tourismus kann es aus meiner Sicht erst geben, wenn wir die Kontrolle über das Infektionsgeschehen zurückerlangt haben. Dafür sind wirksamere Maßnahmen notwendig, als die bis jetzt beschlossenen. Andernfalls droht uns weiter eine endlose Folge von Infektionswellen und halbherzigen Lockdowns.

Das vorliegende Gesetz darf deshalb nur ein erster Schritt sein. Es ersetzt keine umfassendere Strategie für die kommenden Monate. Der eingeschlagene Weg muss fortgesetzt und ein echter Stufenplan im Infektionsschutzgesetz verankert werde. Die Verhandlungen für ein Paket mit entschlosseneren Maßnahmen, mit denen die Welle nicht nur verlangsamt sondern auch gebrochen werden kann, müssen jetzt unverzüglich weitergehen.