Jürgen Drensek, Ehrenpräsident der Vereinigung Deutscher Reisejournalisten

Jürgen Drensek ist einer der bekanntesten Reisejournalisten Deutschlands. Früher Produzent für den ARD „Ratgeber Reise” und die ZDF „Reiselust”, heute für Welt der Wunder TV. Ein Gespräch über die aktuelle Situation, ein verändertes Reiseverhalten nach der Krise, und warum Deutschland als Reiseland im Fokus stehen dürfte.

Herr Drensek, Sie sind seit Jahrzehnten als professioneller Reisejournalist unterwegs, haben viele Filme produziert. Hätten Sie sich eine Situation, wie wir sie derzeit haben, jemals vorstellen können?

Nein, dass nun weltweit jede Form der organisierten Reise de facto unmöglich ist, das ist so monströs als Gedanke, dass es geradezu paralysierend wirkt – egal, aus welcher Position man es auch betrachtet: als betroffener Player, als Beobachter, oder auch nur als Konsument. Ich glaube, wir stehen momentan alle unter einer Art Schock; versuchen einfach nur, zu funktionieren und hoffentlich nicht schwer zu erkranken. Wir klammern uns an irrationale Hoffnungen, dass es in einigen Wochen irgendwie vorbei ist, und wir wieder ins normale Leben zurückkehren. Aber ich fürchte, das wird nicht geschehen. Gerade beim Tourismus nicht.

Das bedeutet wohl, wenn Sie in Ihre Glaskugel schauen, dann sehen Sie nur Pessimismus?

Nein, natürlich nicht nur. Es liegt in unserer Natur, dass sich aus der Zerstörung immer wieder etwas Neues entwickelt. Wir werden allerdings nach Corona nicht mehr da ansetzen können, wie unsere touristische Welt kurz vor der ITB noch ausschaute, und wo wir alle eifrig Pläne für dieses Jahr gemacht hatten.

Da wir nicht davon ausgehen können, dass die Corona-Krise bald – möglichst noch vor den Sommerferien – einfach so endet durch ein Heilmittel, wird es meiner Meinung nach dieses Jahr auch keinen normalen großen Urlaub geben. Selbst nicht in der Projektion des gefühlten Reise-Weltmeisters Deutschland: es kommt ja nicht auf unsere Reiselust an, oder auf unseren Reisemut. Die meisten beliebten Urlaubsländer sind viel härter getroffen. Bei exotischeren Zielen sieht es noch dramatischer aus bei den Prognosen. Auch wenn das Geld durch den Tourismus so verzweifelt benötigt wird – ich glaube, es wird einfach aus Schutzgründen noch lange keinen freien Reiseverkehr geben.

Denken Sie also, es wird ein neues Reiseverhalten geben, eine Veränderung bei den Destinationen?

Wenn man sich die medizinischen Prognosen und die Schutz-Verfügungen als Maßstab nimmt, dann glaube ich, dass wir dieses Jahr einen Run erleben werden auf die erdgebundenen Ziele. Die Nähe als gefühlte Sicherheit. Ich kann mir gut vorstellen, dass, sobald die inländischen Reisebeschränkungen aufgehoben werden und es auch wieder möglich ist, über die Nachbargrenzen zu kommen, viele Menschen einfach nur in die Natur wollen. Das Jahr 2020 könnte sich ab dem Sommer zum Beispiel für uns zum Boomjahr für den Deutschland-Tourismus entwickeln. Ziele, die einfach mit dem Auto oder der Bahn erreichbar sind; je ländlicher, desto besser. Klar hätten das auch unsere Nachbarn zu bieten. Aber jenseits der Grenzen vermute ich dasselbe Verhalten mit jeweils steigender InlandsNachfrage, sodass es eine Konkurrenz um besonders schöne Destinationen geben wird.

Werden auch die Urlaubsmotivationen neu justiert?

Wir erleben gerade, nicht ganz freiwillig, eine Bewusstseins-Veränderung. Wir haben Ostern erlebt, dass die grandiose Natur sich weitgehend selbst genug war. Sie ist nicht mehr nur Kulisse für unsere Selbstverwirklichung. Natürlich wird es auch weiter Menschen geben, für die Party und Spaß untrennbar zum Urlaub gehören. Aber da wir ja dieses Jahr sehr wahrscheinlich noch mit dem Virus leben, werden die meisten sich mehr auf gesundes Bewegen in der Natur, auf sinnliche Erfahrungen, so eine Art innere Einkehr, auch zusammen mit lieben Menschen, fokussieren wollen.

Das bedeutet, es gibt schon Chancen für Destinationen und Hotels?

Natürlich. Ich vermute, wir haben es dieses Jahr mit so einer Art „Hiddensee-Syndrom“ zu tun. Eine Insel als Sehnsuchtsort, wo man eins ist mit der Natur, radeln kann, wo kein Autoverkehr nervt; ein Ort mit eher kleineren, individuellen Herbergen oder auch Ferienwohnungen. Nett essen gehen. Irgendwo unter dem Baum sitzen und lesen, etwas trinken… Nach so einer einschneidenden Krise sind viele Menschen offen für Sinnlichkeit. Also Hoteliers, die sich als fürsorgliche Gastgeber positionieren werden, die mehr sein wollen, als nur Betten-Vermieter, die werden wahrscheinlich sehr viel Dankbarkeit erfahren.

Das wäre mein Rat gerade in Richtung Destinationen und Beherbergungsgewerbe: nutzen Sie die Zeit jetzt in Richtung Positionierung „Gesundheit“ im weiten Sinne. Konzipieren Sie ein tolles Frühstück, bieten Sie sanfte und nachhaltige Entdeckungen in der Region an, überlegen Sie kleine Goodies. Ich glaube, gerade Regionen, die vor Corona eher so als  „unsexy“ empfunden wurden, können jetzt zeigen, dass man nicht auf einer Bucket-List stehen muss, um ein gutes Urlaubsgefühl zu bieten.

Wo sehen Sie die Verlierer in den kommenden Monaten?

Es gibt natürlich Problembereiche, wie zum Beispiel das jetzt so viele Jahre boomende Segment der Kreuzfahrt. Da wird es die nächste Zeit sicher noch düster ausschauen. Das liegt nicht am – für diese Zielgruppe – ja fast perfekten Produkt, das in Frage gestellt würde, sondern an der normativen Kraft des Faktischen, dass ich keine Route gestalten kann, wenn ich als Veranstalter die große Gefahr habe, dass die Hafenbehörden mein Schiff wie einen Pest-Dampfer behandeln, sobald ein Corona-Verdachtsfall an Bord ist. Schiffe sind, medizinisch gesehen, einfach große Inkubatoren; zumal, wenn auch noch viel älteres Publikum an Bord ist.

Die heimische Kreuzfahrt-Branche hat leider nicht den Vorteil, wie in der Karibik, hier eigene Inseln zu haben, um den Landgang zu garantieren. Ich vermute, generell werden Kreuzfahrten am Anfang mehr Seetage, als Landgänge haben. Ist ja auch nicht das Schlechteste. Bisher war es mit täglich wechselnden Häfen, ja fast schon Stress, die Angebote des Schiffes auch zu nutzen.

Fernreisen sind für mich auch Wackelkandidaten in diesem Jahr. Gerade wenn es sich um Destinationen handelt, die de fakto Entwicklungsländer sind. Denn dort wird die CoronaGefahr noch länger virulent sein mit der Folge von geschlossenen Grenzen.

Wagen Sie eine Prognose, wann es wieder aufwärts geht?

Ungern. Offen gestanden bin ich eher pessimistisch. Denn es geht ja nicht nur um medizinische Risiken oder Hemmnisse für einen Urlaub. Viele Menschen haben gerade große Einkommensverluste. Da sind dann tausende Euro für ein paar Tage wegfahren nicht ganz oben in der Prioritätenliste.

Der Luxussektor wird sich relativ schnell erholen, wenn die Reisebeschränkungen fallen. Die Wohlhabenden der Welt haben sich immer schon etwas abgeschottet an schönen Orten. Und selbst die, die jetzt an den Börsen viel Geld verloren haben, wissen, es wird wieder zurückkommen…

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Das Interview führte Annette Weber-Ben Ammar