Dr. Jürgen Amann, Geschäftsführer KölnTourismus

Ein Gespräch über die Schwierigkeiten von Tourismusfinanzierung in Zeiten von Corona, fehlende Klarheit in den Aussagen der Politik, und warum Städte gut beraten sind, ihre DNA und ihre Themen jetzt nicht einem Krisenaktionismus zu opfern.

Dr. Jürgen Martin Amann, Geschäftsführer KölnTourismus GmbH

 

Herr Amann, der Städte- und Geschäftsreisetourismus wird seit Beginn der Coronakrise am härtesten getroffen. Wie drückt sich das seit März in Köln in Zahlen aus?

Zunächst sind wir richtig gut in das Jahr gestartet. Der Februar 2020 war der beste Februar aller Zeiten. Mit dem Lockdown ist dann erst einmal alles zusammengebrochen. Im Sommer hatten wir dann rund 60 Prozent Auslastung in unseren Hotels. Heißt: Wir standen bis Ende September bei mehr als 40 Prozent der Vorjahreszahlen bei den Übernachtungen. Aber die Gäste waren dieses Jahr völlig andere. Wir hatten quasi gar keine Kongress-, Tagungs- oder Messegäste.

 

Viele Stadtmarketingorganisationen, darunter auch Köln, finanzieren sich weitgehend aus eigenen Mitteln. Heißt: wenn niemand kommt, fließt kein Geld, folglich ist im Topf für die nahe Zukunft nichts drin. Muss die Finanzierung des Städtetourismus neu gedacht werden?

Ich denke ja. Denn Corona macht sehr deutlich, wie viele andere Branchen mit am Tourismus hängen. Zwar haben wir schon immer in Richtung der Politik kommuniziert, dass der Tourismus eine Querschnittsbranche ist. Doch jetzt wird das in Zahlen sichtbar: dem Einzelhandel fehlen Kunden, der Deutschen Bahn und anderen Verkehrsbetrieben, dem Bäcker an der Ecke und dem Handwerker, der sonst Aufträge auch aus der Hotellerie bekommt. Fehlende Gäste gleich leere Geschäfte. Das gab es so vorher in der Kölner Innenstadt noch nicht. Die Krise zeigt auch, dass die Struktur der Finanzierung vieler DMO defizitär ist. Defizitär in dem Sinne, dass sie zu einer prozyklischen Handlungsweise führt. In guten Zeiten hat man viele Mittel zur Verfügung. In der Krise entsteht dagegen vielerorts eine temporäre Handlungsunfähigkeit. Und das darf nicht passieren! Wann, wenn nicht in der Krise muss eine DMO ihren Partnern unter die Arme greifen? Wann, wenn nicht in der Krise muss es Marketing geben, um als Destination im Gespräch zu bleiben? Die Tourismusförderung muss daher in meinen Augen neu gedacht werden. Ziel muss es sein, in Krisen handlungsfähig zu bleiben und mehr antizyklisch arbeiten zu können.

 

Wo genau haben Sie bislang selbst Geld erwirtschaftet, das jetzt fehlt?

Da ist zum einen der Verkauf von Souvenirs und Merchandising-Artikeln. Dann haben wir mit unseren Stadtführungen Einnahmen generiert. Dazu kommen zahlreiche Partnermodelle, also Aktionen und Veranstaltungen, die wir planen, bei denen andere bezahlt aufspringen. Aber um noch einmal auf die Tourismusfinanzierung der Zukunft zu sprechen zu kommen: Bei der Entwicklung neuer Formate und Produkte darf eben nicht immer nur die Wirtschaftlichkeit im Vordergrund stehen. Man sollte mit Blick auf neue Zielgruppen mehr Dinge fördern können, auch wenn sie nicht gleich wirtschaftlich sind. Manche Dinge brauchen Zeit.

 

Eine private Firma muss doch auch mit eigenem Geld in neue Ideen und Produkte investieren.  Warum muss das mit Steuergeld geschehen?

Wegen der jetzt messbar gewordenen Querschnittsfunktion des Tourismus. Im Sinne von nachhaltiger Wirtschaftsförderung gibt es nur wenige Bereiche, die so effizient sind wie unsere Branche. Für jeden eingesetzten Euro fließen viele Euro in die Stadt zurück. Aus diesem Grund müssen wir uns heute überlegen, wen wir in Zukunft in Köln als Gäste mit welchen Produkten begrüßen möchten – und investieren. Ein Beispiel: Was meinen Sie, wie viele Gästeführer von sich aus ein Nischenthema wie einst Urban Art besetzen und dafür das Risiko tragen? Fast keiner. In der Folge hätten wir ohne Ende Führungen rund um den Kölner Dom und in der Altstadt, aber wenig Vielfalt. Ich wünsche mir also mehr antizyklische Anschubfinanzierung und Grundlagenforschung, was künftige Zielgruppen möchten.

 

Aber hat die Stadt Köln jetzt in der Krise nicht zusätzliche Mittel für Marketing zur Verfügung gestellt?

Nein, es gab keine Sondermittel. Aber das, was zugesagt war. Also auch keine Kürzungen. Unsere Re-Start-Aktivitäten konnten wir aber durch die Umwidmung von Mitteln stemmen. Viele Marketingaktionen wurden ohnehin obsolet.

 

Aber vom Land NRW gab es Sondermittel.

Nicht direkt. Es gab 1,2 Millionen Euro vom Landeswirtschaftsministerium an Tourismus NRW als Landesorganisation. Die Destinationen haben hier zwar indirekt von der damit aufgesetzten Recovery-Kampagne profitiert. In anderen Bundesländern, etwa in Sachsen, wo fünf Millionen vom Freistaat in die Hand genommen wurden, kamen je Destination mehrere hunderttausend Euro an. Und Sachsen als kleines Bundesland ist im Vergleich zu NRW relativ homogen. 1,2 Millionen Euro für ein so großes und von seinen Destinationen her stark heterogenes Land wie NRW ist also in der Krise nicht besonders viel. Um die Relationen einmal herzustellen: Müller Milch gibt sicher schon in normalen Jahren mehr Geld für die Bewerbung bereits im Markt etablierter Produkte wie Müller Milch Schoko aus.

 

Es ist immer wieder zu hören, die Metropolen müssten sich für die Zukunft neu erfinden. Im Sommergeschäft setzten viele auf die Karte Umland, also in der Kombi Stadt-Land. Laufen Städte nicht Gefahr, womöglich in ihrer Not zu schnell von der traditionellen DNA abweichen?

Wenn Städte, deren Urbanität, Gastronomie und die Kultur- und Eventangebote in den letzten Jahren die Treiber des Deutschlandtourismus waren, plötzlich Aspekte wie Radfahren im Grüngürtel oder Stand up Paddling auf städtischen Seen in den Vordergrund stellen, sehe ich da schon eine Gefahr. Gegen die Verbindung von Stadt und Region ist natürlich nichts zu sagen, aber deswegen kommen die Gäste nicht primär. Aus einem Krisenaktionismus heraus Dinge miteinander zu verbinden, die nicht zusammengehören, halte ich für falsch. Man sollte immer seine echten Zielgruppen und deren Wünsche im Blick behalten.

 

Bill Gates sagte in einem Interview der NY Times, er rechne damit, dass 50 Prozent der Geschäftsreisen künftig wegfallen werden. Wie sehen Sie die Lage für den Kongress-Standort Köln?

Bei den klassischen Geschäftsreisen, also morgens Anreise, abends Abreise und dazwischen ein paar Stunden Meeting, wird es einen massiven Rückgang geben. Hier haben digitale Formate gezeigt, dass viele Geschäfte auch anders funktionieren. Die Firmen werden sich in diesem Bereich künftig viele Reisekosten sparen. Anders sehe ich es bei den promotablen Geschäftsreisen, also bei Kongressen und Messen. ZOOM und Co. ersetzen nicht das persönliche Treffen, nicht das informelle Gespräch am Abend, nicht die Begegnungen zwischen zwei Terminen. Es wird eine gewisse Konzentration auf die Leitveranstaltungen stattfinden, wohl auch insgesamt eine Konsolidierung des Marktes – aber die hat bereits vor Corona begonnen. Wir werden im MICE-Bereich auch neue Geschäftsmodelle erleben, etwa weil Messen und Kongresse über hybride Formate ihre Reichweiten sogar steigern können. Am Ende wird eine neue Struktur der Branche stehen, aber das Volumen sehe ich langfristig auf dem Vor-Krisenniveau.

 

Mit wie vielen Pleiten rechnen Sie im Bereich der Hotellerie und Gastronomie?

Es wurde mal eine Zahl von rund 30 Prozent kolportiert. Ich kann diese Zahl allerdings nicht bestätigen. Es fehlen in diesem Bereich verlässliche Daten. Und das, was es gibt, ist zudem sehr ungenau. Nehmen Sie die vielen Soloselbstständigen, die im Tourismus arbeiten, beispielsweise als Gästeführer. Die gehen nicht insolvent. Die suchen sich einen anderen Job. Es kann also gut sein, dass nach der Krise die touristische Struktur nicht mehr dieselbe ist wie vorher. Die Politik versäumt es hier, ein klares Exit-Szenario aufzuzeigen, eines, aus dem heraus sowohl Soloselbstständige wie auch Betriebe eine Perspektive entwickeln können. Ich würde mir hier eine viel klarere Kommunikation wünschen. Wenn ein Clubbetreiber zum Beispiel weiß, dass er jetzt bis zum Sommer schließen muss, dann kann er kalkulieren, ob er durchhält – oder gleich zusperrt. Aber er muss sich ja nicht auch noch über beide Ohren verschulden, um dann erst festzustellen, dass er pleite ist. Lieber ein Ende mit Schrecken als ein Schrecken ohne Ende.

 

Mit welchen Themen plant Köln trotz all dieser Herausforderungen das neue Jahr?

Zunächst werden wir im Freizeitbereich unsere Recovery-Maßnahmen unter #inKöllezeHus fortsetzen. Im MICE-Bereich haben wir die Initiative „Cologe – ready when you are“ gemeinsam mit unseren Partnern ins Leben gerufen und werden diese das ganze nächste Jahr fortsetzen. Wir gehen davon aus, dass sich der Tourismus zuerst in den Nahbereichen erholen wird, dann erst deutschlandweit und international. Hier haben wir das Glück, dass die Märkte Niederlande und Belgien sehr nah liegen. Dann schauen wir uns gerade noch einmal sehr genau unsere Zielgruppen an und machen Zukunftsanalysen. Und wir verstärken unsere Arbeit in verschiedenen Verbänden, etwa dem DRV oder dem Bundesverband der Deutschen Incoming-Unternehmen (BVDIU), um hier Netzwerke und Synergien im Zuge des Re-Starts besser nutzen zu können. Ein Highlight des nächsten Jahres ist die Andy Warhol-Ausstellung im Museum Ludwig, die eigentlich ein Besuchermagnet wäre. Aber wir sind zuversichtlich, dass es ab der zweiten Jahreshälfte 2021 aufwärts gehen wird. Und so oder so: Der Dom wird stehen bleiben, egal was kommt.