Dr. Brigitte Schlögl, Geschäftsführerin Berchtesgadener Land Tourismus GmbH

Ein Gespräch über die neu eröffnete Jennerbahn und die Erwartungen der touristischen Akteure, den selbstverständlichen Umgang mit dem Begriff Heimat, und warum sich das Berchtesgadener Land in Bezug auf den Klimawandel mit dem Thema Overtourism beschäftigt. 

Frau Dr. Schlögl, das Berchtesgadener Land hat eine große Skitradition und gerade hat die neue Jennerbahn eröffnet, ein Investment von 56 Millionen Euro. Wie groß sind die Erwartungen bei Ihnen und den touristischen Akteuren?

Die erste Jennerbahn wurde bereits 1953 eröffnet. Dort am Berg gibt es also, wie Sie richtig sagen, eine lange Skitradition. Die neue, barrierefreie Bahn bedeutet vor allem einen Qualitätssprung. Anlage, Beförderung, Gastronomie: Das ist jetzt internationaler Standard. Das freut neben unseren Gästen auch die Einheimischen, die diesen neuen Komfort genießen. Ganz allgemein rechnet die Bergbahn im Zuge der Erneuerung mit mehr Gästen als in den Vorjahren. In der letzten Saison mit der alten Bahn, konnten rund 220.000 Tickets verkauft werden.

Neue Bergbahnen und immer neue Beschneiungsanlagen sind im Jahr 2020 deutlich erklärungsbedürftiger als noch vor 10 oder 15 Jahren. Wie steht die Bevölkerung und ihre Gäste zu einem solchen Großprojekt?

Wie schon gesagt, profitieren die einheimischen Skifahrer genauso so von der neuen Bahn. Und da das Skigebiet nicht neu erschlossen werden musste und es hier eine jahrzehntelange Skitradition am Berg gibt, hatten wir mehr Befürworter als Projektkritiker. Wir haben einen aktiven BUND Naturschutz in Berchtesgaden. Wegen Ruhezeiten für das Birkhuhn mussten die Bauarbeiten ein halbes Jahr ausgesetzt werden. Das Projekt wurde aus allen Perspektiven diskutiert – aber eben differenziert. Den allermeisten ist jedoch bewusst, dass wir im südlichen Berchtesgadener Land vom Tourismus als wichtigen Wirtschaftszweig gut leben.

 

Welche Rolle spielt das Thema Winterreisen im speziellen und der Tourismus allgemein bei Ihnen?

Uns ist wichtig zu betonen, dass man bei uns a u c h Skilaufen kann. Wir sind keine wintersportintensive Region mit Schwerpunkt auf Ski, Snowboard und Langlauf. In unserem Landkreis leben 105.000 Menschen, wir haben insgesamt 3,6 Millionen Übernachtungen über das ganze Jahr in der gesamten Destination. 26 Prozent davon, rund 900.000, fallen in den Winter. Dass sind beeindruckende Zahlen. In Destinationen, die vom Wintersport leben, ist das Verhältnis Winter zu Sommer aber beinah umgekehrt. Trotzdem ist die Schneesaison für uns wichtig. Und speziell in den Wochen, die in Österreich als „Sonnenskilauf“ vermarktet werden, also im Frühjahr, sehe ich auch bei uns noch Potential.

 

Welche anderen Themen setzen Sie in der kalten Jahreszeit neben dem Wintersport – und warum gerade diese?

Zu uns kommen die Gäste im Winter in erster Linie, um sich zu erholen. Winterwandern, Skitourengehen, Entspannung: Die Themen Ruhe und Genuss spielen eine große Rolle in Kombination mit unserer alpinen Landschaft. Mit der Aushängeschildern Rupertustherme in Bad Reichenhall und der Watzmann Therme sowie dem Salzheilstollen in Berchtesgaden setzen wir außerdem ganzjährig auf das Thema Gesundheit. Die Kurstadt Bad Reichenhall ist dafür das Zentrum. Was bei uns immer besser gebucht wird, ist die Vorweihnachtszeit. Mit dem Berchtesgadener Advent und dem Christkindlmarkt Bad Reichenhall haben wir zwei sehr beliebte Weihnachtsmärkte, die von vielen auch mit einem Besuch in Salzburg kombiniert werden.

 

Wie sieht Ihre Gastgeber-Struktur aus? Und sind die Beherbergungsbetriebe in der neuen Zeit angekommen?

Bei unseren Betrieben hat sich viel Positives getan. In Folge von Betriebsübergaben wurden viele Objekte modernisiert. Zudem haben wir Betten im Vier-Sterne-Segment dazubekommen. Ein positives Beispiel: Ein mitte Dreißigjähriger hat gerade fünf Millionen Euro in eine Jugendstilvilla investiert und ein Boutique-Hotel daraus gemacht. Das zeigt, dass auch die jungen mit an Bord sind. Trotzdem verlieren wir – wie viele andere Regionen auch – über die letzten zehn Jahre sukzessive Betten. Ganz stark im Kleinvermieterbereich. Dennoch steigern wir die Zahl der Übernachtungen stetig, weil gewerbliche Betriebe dazukommen, die die Auslastung übers Jahr verbessern.

 

Alpine Tradition und Heimat sind zwei Schlüsselbegriffe auf Ihrer Website. Wie nutzen Sie diese Themen ganzjährig im Produkt und Marketing?

Unsere Destination ist prädestiniert für bewusstes Reisen. Hier geht es nicht um höher, schneller, weiter – weil auch die Menschen hier so nicht leben. Wir haben zum Beispiel als DMO keine Vorgabe seitens unserer Gesellschafter, die Übernachtungen steigern zu müssen. Das ist bei uns kein Maßstab. Vielmehr geht es um gute Wertschöpfung, um die Profitabilität und darum, sie in Einklang mit der hiesigen Lebensweise zu bringen. Traditionen, wie zum Beispiel der Buttnmandllauf, werden hier wirklich noch gepflegt. Aber eben nicht nur für die Touristen. Die Menschen hier leben zwar im Tourismus, aber sie verkaufen sich nicht für ihn. Der Begriff Heimat ist hier positiv besetzt, weshalb wir sehr selbstverständlich auch damit werben. Selbst so international bekannte Profikletterer wie die Huber-Brüder (Huberbuam) erzählen in ihren Interviews immer wieder, wie wichtig ihnen ihre Heimatberge im Berchtesgadener Land sind.

 

Wie sieht ihre Gästestruktur heute aus – und welche Zielgruppen bieten künftig das größte Potential?

Im Süden haben wir viele Familien mit Kindern, im Kur- und Badbereich sind unsere Gäste meist 50-plus, im Aktivbereich sehr oft um die 40 Jahre. Das sind unsere Hauptzielgruppen aktuell. Wo ich noch Potential sehe ist einmal das Thema Wandern, das gerade ein Revival erlebt, dann das Thema Gesundheit sowie der Winter. Im Winter ist es nicht der klassische Skilauf, sondern eher die Auszeit in wunderschöner Landschaft mit kalter, klarer Luft.
Abgesehen von den Zielgruppen, sehen wir übrigens eine Verschiebung der Reisezeiten. Früher war der September ein Anhängsel der Hauptsaison, heute ist er selbst Hauptsaison. Auch der Oktober ist voller als noch vor einigen Jahren.

 

Vor welchen weiteren Herausforderungen stehen Sie in den kommenden Jahren?

Ich könnte Ihnen jetzt die üblichen Dinge nennen. Aber ich möchte eine sehr spezifische Herausforderung aufgreifen: Die Alpen sind ein Sehnsuchtsort, klimatisch begünstigt. Und wir sehen, dass diese Sehnsucht nach intakter Natur bzw. schöner Kulturlandschaft im Zuge der Klimaveränderung zunehmen wird. Für uns stellt sich die Frage, wie wir damit umgehen, wenn die Hitzesommer vielerorts so zunehmen, dass die Sommerfrische in den Bergen ein immer wichtigeres Reisemotiv wird. Wie gehen wir damit um, wenn aus einem Sehnsuchtsort aus der Romantik heraus ein Aufenthalt aus Notwenigkeit wird? Wie können wir diese zusätzlichen Gästeströme aufnehmen? Und wollen wir das überhaupt? Das sind Fragestellungen, die uns beschäftigen und noch viel mehr beschäftigen werden. Und Patentrezepte wird es dazu keine geben.