Die Segel gesetzt

Der Anteil von DMOs, die ihre Daten offen strukturiert bereitstellen, ist in den vergangenen beiden Jahren von 22 auf 40 Prozent gestiegen. Wesentlicher Treiber dieser Entwicklung ist das Knowledge Graph-Projekt der Deutschen Zentrale für Tourismus (DZT). Seit Juni dieses Jahres ist die neue Datenbank live. Im Interview zieht DZT-Chefin Petra Hedorfer eine erste Bilanz und gibt einen Ausblick auf weitere konkrete Anwendungen.

 ©DZT/FaridehDiehl

Frau Hedorfer, welches sind die aktuell zentralen Projekte der DZT mit Blick auf die digitale Transformation und in welchem Kontext werden sie umgesetzt?

Das große aktuelle Thema ist, unternehmensund branchenübergreifend die Innovationskraft der digitalen Transformation nutzbar zu machen. Dafür steht unsere Initiative „Open Data und künstliche Intelligenz“, mit der wir uns seit diesem Jahr auch in der Arbeitsgruppe „Digitalisierung“ der Nationalen Plattform Zukunft des Tourismus beim Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz engagieren. Dabei bauen wir auf unser Open Data-/ Knowledge Graph-Projekt auf. Mit diesem Dateninfrastrukturprojekt haben wir eine unverzichtbare Grundlage geschaffen, um mit vernetzten, qualitativ hochwertigen Daten neue Produkte, Dienstleistungen und Applikationen zu entwickeln. Unsere Beteiligung an der Initiative soll auch die Akteure auf regionaler und lokaler Ebene bei neuen digitalen Entwicklungen unterstützen. Darüber hinaus geht es um die Möglichkeiten von Aus- und Weiterbildung sowie die Einbeziehung von Forschung und Lehre durch die wissenschaftliche Begleitung entsprechender Modellprojekte. Diese nationale Initiative steht im Kontext des EU-Förderprojektes Data Spaces, das auf eine Datenharmonisierung im gesamten EU-Raum zielt. Dabei geht es um gemeinsame Standards einschließlich der semantischen Auszeichnung von Daten, Interoperabilität, Metadaten und den ungehinderten Datenfluss innerhalb und zwischen verschiedenen Wirtschaftszweigen.

Das Open Data- / Knowledge Graph-Projekt war das zentrale Infrastrukturprojekt der vergangenen Jahre. Welche Bilanz ziehen Sie heute, einige Monate nach dem Livegang des Graphen?

Der Livegang Ende Juni war ein bedeutender Meilenstein auf dem langen Weg in die Zukunft. Aktuell sind mehr als 200.000 Datensätze zu Sehenswürdigkeiten, Veranstaltungen und Touren sowie Infrastrukturdaten, etwa zu E-Ladesäulen, im Knowledge Graphen verfügbar. Und wir sind in intensiven Gesprächen zur Anbindung größerer Datenbestände auf der Basis von Kooperationen. Ebenso wichtig wie die Integration der Daten ist der Abruf. In den ersten drei Monaten haben sich mehr als 100 Datennutzer registriert, darunter Start-ups, AppEntwickler, Software-Schmieden. Außerdem nutzen touristische Unternehmen, Destinationen, Verbände, Behörden sowie Hochschulen und Institute die Daten.
Zur Zwischenbilanz gehört jedoch viel mehr als die technische Lösung und eine möglichst große Zahl gesammelter Daten. Die gemeinsame Arbeit am Knowledge Graphen hat auch die Sensibilisierung auf allen Ebenen bis hin zu lokalen Anbietern und einzelnen Leistungsträgern verstärkt. Der DMO DigitalMonitor der Tourismus- und Regionalberatung BTE und des DTV zeigt, dass der Anteil der DMOs, die ihre Daten anderen Nutzern uneingeschränkt zur Verfügung stellen, in den letzten beiden Jahren von 22 auf 40 Prozent gestiegen ist. Die Ergebnisse bestätigen und motivieren uns in unserer Arbeit.

Es geht also um noch mehr Breite und Tiefe bei der Nutzung offener Daten und bei der Erschließung von Anwendungsmöglichkeiten. Welche Pläne haben Sie, um das zu erreichen?

Wir selbst nutzen Daten aus dem Knowledge Graph beispielsweise, um unseren KI-gestützten Chatbot auf germany.travel weiterzuentwickeln. Im B2B-Bereich experimentieren wir mit eine weiteren Chatbot auf open-data-germany.org als Test-Case. Die Auslandsbüros der DZT sind eingebunden als Gateways für den Roll out in die internationale Reiseindustrie. So realisiert die DZT Wien in Kooperation mit dem Reiseportal insiderei.com ein Open Data Storytelling. Kunden, die auf der Webseite nach Hotels oder Tipps zu den ganz persönlichen Lieblingsplätzen und Geheim tipps von „Locals der Insiderei“ suchen, erhalten – über Daten aus dem Knowledge Graphen –individualisierte Empfehlungen zu Radtouren, Wanderwegen und Familienerlebnissen. Um den Austausch in unserem Partnernetzwerk zu intensivieren, planen wir einen Hackathon rund um das Thema „Neue Möglichkeiten der Customer Experience: Wie können die Digitalisierung, der DZT-Knowledge Graph und KI-Sprachmodelle neue Erlebnisse im Kundenkontakt schaffen“. Über einen Round Table möchten wir außerdem den Austausch mit der Wissenschaft weiter forcieren.

Über den Horizont des Open Data-Projektes hinaus: Welches aktuelle digitale Projekt der DZT würden Sie im Moment besonders hervorheben?

Vor wenigen Wochen haben wir anlässlich unseres Sustainable Tourism Day unser neues Data Dashboard „Sustainable Travel Trends to Germany“ für unsere Mitglieder freigeschaltet. Es unterstützt die Nutzer bei Entscheidungen im internationalen Marketing mit detaillierten Daten zur generellen Einstellung von Konsumenten aus den Quellmärkten unter den Aspekten Nachhaltigkeit, Klimaschutz und Interesse an nachhaltigen Reisen. Außerdem zeigt das Dashboard, wie Deutschland unter dem Aspekt Nachhaltigkeit im Ausland wahrgenommen wird und im Wettbewerb positioniert ist. Und es ermöglicht über aktuelle digitale Daten, das tatsächliche Reiseverhalten zu analysieren. Damit können wir beispielsweise den CO2-Fußabdruck für die Anreise internationaler Gäste darstellen. So bietet dieses Digitalprojekt aktive Unterstützung dabei, den Incoming-Tourismus nachhaltiger zu gestalten.

Nach dem Blick in die Werkstatt der DZT – wie sehen Sie die digitalen Entwicklungen aus der Perspektive von Reisenden?

Ich sehe große Chancen und Herausforderungen entlang der Wertschöpfungskette: International gehören digitale Anwendungen für Reisende aus Europa, insbesondere Skandinavien, oder aus Asien längst zum daily business – von der Reiseinspiration bis zum digital Payment. Digitale Tools schaffen Convenience, machen das Reisen leichter und einfacher. Um als Destination wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen wir in Deutschland Anschluss an diese Entwicklungen halten. Viele potenzielle Reisende halten sich immer mehr im digitalen Raum auf. Stichwort Gamification: Für Menschen wird die Umsetzung von Virtual Reality inzwischen selbst zur touristischen Attraktion, beispielsweise VR-Events, die eine zusätzliche erlebnisebene zur klassischen Stadtrundfahrt im Hier und Jetzt bieten oder „Virtual Reality Gaming Areas“, die sich als eigenständiges Reiseziel profilieren. In diesem Kontext sehe ich auch bei der DZT unsere begehbare, barrierefreie 3D-Welt „Deutsche Naturlandschaften“, wo der Gast interaktiv die Naturregionen erlebt und zahlreiche Tipps für umwelt- und klimafreundliches Reisen erhält. Damit erweitern digitale Welten die realen Erlebnisse und tragen zum Markenprofil des Reiselandes Deutschland als innovative Destination im Wettbewerb bei.


Über die Autorin: Petra Hedorfer stieg 1998 als Marketingleiterin weltweit bei der DZT in Frankfurt ein. Seit 2003 ist sie Vorsitzende des Vorstandes und hat die Auslandsmarketingorganisation des Reiselandes Deutschland seither kontinuierlich auch zu einer weltweiten Vertriebsorganisation weiterentwickelt und dabei früh aufs Digitale in all seinen Facetten gesetzt. Über die Jahre wurde sie für ihre Arbeit vielfach ausgezeichnet, unter anderem nahm der Travel Industry Club die Diplom-Kauffrau 2017 in die „Travel Hall of Fame” auf.


Dieses Interview ist im neuen TN-Deutschland Magazin erschienen.
Das ganze Magazin zum Nachlesen gibt es HIER

Autor: Christian Leetz