Veranstalter entdecken Deutschland als Reiseland wieder

Die deutschen Veranstalter sind ohne Deutschlandgeschäft groß geworden. Im stationären Vertrieb spielte das Reiseland jahrzehntelang nur eine Nebenrolle. Seit ein paar Jahren nähert man sich einander aber wieder an. Und die Chancen sind groß.

Foto: Holger Ullmann

Das Reiseland Deutschland eilt seinem zehnten touristischen Rekordjahr in Folge entgegen. Es ist das mit Abstand beliebteste Reiseland der Bundesbürger: 27 Prozent der 70,1 Millionen Urlaube ab einer Dauer von fünf Tagen haben laut FUR-Reiseanalyse Deutschland zum Ziel, dazu kommen 62,1 Millionen Kurzreisen bis vier Tagen Dauer. Zum Vergleich: In alle Mittelmeerländer werden, Kurz- und Haupturlaube zusammengerechnet, rund 32 Millionen Urlaubsreisen gebucht.
Doch während Ferienaufenthalte auf den Kanaren, in Ägypten oder in der Türkei laut GfK-Zahlen zu mehr als der Hälfte (52 Prozent) von Veranstaltern organisiert werden, bucht in Deutschland nur eine Minderheit eine Pauschalreise. Auch für eine Hotelbuchung kommen die Wenigsten zuerst auf die Idee, dies über einen Veranstalter zu tun. Und trotzdem: Von einer Entfremdung zwischen den Veranstaltern und den heimischen Hoteliers und Destinationen kann nicht die Rede sein.
Zwar verlor man jahrelang Marktanteile und viele Manager in den Konzernzentralen taten sich schwer damit, Lösungen zu finden, um beim Deutschlandgeschäft nicht noch weiter Boden zu verlieren – doch hat man die Lage inzwischen analysiert und partizipiert am Inlandsboom. Klar ist: Die Konkurrenz für die Veranstalter sind hierzulande nicht ihre Mitbewerber. „Es sind die großen Portale wie Booking. com“, sagt Martin Katz, Chef der Eigenanreisesparte und des City-Geschäfts bei FTI. Der erfahrene Manager erklärt auch warum: „Der Hotelier am Mittelmeer ist auf Veranstalter angewiesen, die dort hinfliegen.

In Deutschland, wo Gäste ihr Ziel selbstständig erreichen, gibt es eine ganz andere Vertriebsstruktur und Anreiselogistik“. Trotzdem ist das Deutschlandgeschäft für die Münchner wichtig: Von den jährlich rund fünf Millionen Urlaubern, die mit der FTIGruppe verreisen, buchen mehrere hunderttausend einen Aufenthalt in Deutschland. Mit zuletzt jährlichen Zuwächsen.

Foto: Moritz Schlieb (DML-BY)

Bei TUI ist das Reiseland Deutschland nach Spanien, Griechenland und der Türkei inzwischen auf Rang vier der beliebtesten Zielgebiete. Und bei Schauinsland Reisen (SLR) wächst das 2013 gestartete Eigenanreisegeschäft jährlich mit zweistelligen Zuwachsraten. Zwar sei das Segment „lange ein bisschen ein unbekannter Faktor gewesen“, so Geschäftsführer Gerald Kassner.
Doch macht es bei SLR inzwischen rund 4 Prozent der jährlichen Reiseteilnehmer (ca. 80.000) aus. Allerdings bleibt das Geschäft in Deutschland für Veranstalter schwer kalkulierbar. „Wenn ich auf den Malediven oder in der Karibik investiere, weiß ich ziemlich genau, wie hoch am Ende dort mein Marktanteil sein wird“, sagt Kassner. Im Inland sei das schwerer, „weil es viel mehr Player gibt“. Veranstalterseitig wird im Inland aber nicht nur deshalb nicht in eigene Hotels investiert.

Auch die Grundstücke sind zu teuer. Gute Lagen sind bezahlbar keine mehr zu haben. Und die Auflagen für alles Mögliche sind zu hoch, um attraktive Projekte zu realisieren. Der kürzlich an Umweltauflagen gescheiterte Bau des Hotels „Le Dün“ in St. Peter-Ording ist dafür nur ein Beweis.
TUI sucht nach Informationen von TN-Deutschland schon seit Jahren vergeblich nach einer Möglichkeit, nach der Anlage in Fleesense (Mecklenburg- Vorpommern) auch an Nord- oder Ostsee einen zweiten Robinson Club zu eröffnen. Der Ausbau der TUI Kids Clubs im Sommer 2020 zeigt aber, dass man sein exklusives Portfolio dennoch erweitert. Auch, dass sich Schauinsland Reisen im Safaripark Stukenbrock Erlebnisresort bei Bielefeld größere Exklusivitäten gesichert hat – und diese auch verkauft bekommt –, ist ein deutliches Zeichen dafür, dass die Suche nach attraktiven Standorten läuft.

Auch in den Reisebüros, wo Buchungen innerhalb Deutschlands durchschnittlich 5 bis maximal 10 Prozent des Jahresvolumens ausmachen, rücken inländische Ziele verstärkt in den Fokus. Zwar kennen sich immer noch viele Expedienten besser in Spanien und Griechenland als mit passenden Produkten in Deutschland aus, „doch bilden sich die Mitarbeiter am Counter gerade stark weiter und auch die Buchungen gehen nach oben“, sagt Martin Katz, Eigenanreise-Chef bei FTI. Bei der FTI Academy seien Schulungen zu den City-Angeboten, wo Deutschland einen großen Geschäftsanteil ausmacht, „die mit am häufigsten absolvierten Kurse“.

Foto: DER Touristik

Auch die Tatsache, dass Urlaub in Deutschland in der Regel hochpreisiger ist als viele Mittelmeerregionen, lässt immer mehr Reisebüros bei der Beratung umdenken. Ob eine Woche Sylt oder Soma Bay – der Provisionssatz ist derselbe. Und die Sylt-Buchung macht am Counter weniger Arbeit.
Nicht zu vergessen: Die demografische Entwicklung wird den Trend zu Reisen innerhalb Deutschlands beschleunigen. Je älter eine Gesellschaft, desto weniger wird statistisch geflogen. Und das wachsende Bedürfnis nach Sicherheit im Alter könnte auch dem Produkt Pauschalreise im Inland Auftrieb geben. „Reiseveranstalter, die einen Schwerpunkt auf die Eigenanreise legen, werden in den nächsten Jahren dank der äußeren Einflüsse in diesem Bereich wachsen“, meint auch Thomas Rolf, Leiter FOX-TOURS Reisen.
Schon heute entwickelten sich deshalb beispielsweise die exklusiven Gruppenreisen bei der Reisebüromarke aus dem Westerwald „erfreulich gut“.

Auch die deutschen Destinationen haben nach wie vor Interesse an der Zusammenarbeit mit dem stationären Vertrieb. So bringt die KölnTourismus GmbH ihre Angebote seit kurzem über eine Schnittstelle via traffics direkt in die Reisebüros. Jochen Blomenkamp, Leiter Team Digital bei der KölnTourismus GmbH: „Im Zuge unseres Open-Projektes mit hubermedia und neusta destination solutions verknüpfen wir unseren individuellen Content für den Counter jetzt direkt mit buchbaren Angebotsbündeln“. Eine Idee, die in der Zusammenarbeit zwischen Städten, Veranstaltern und Vertrieb in Zukunft Früchte tragen könnte. Denn auch, wenn die Veranstalter versuchen, ein möglichst flächendeckendes Portfolio anzubieten: Die Top-Seller sind aufgrund der guten Hotelkapazitäten die Metropolen, speziell Berlin, Hamburg, München, Dresden, Leipzig, Köln und Frankfurt laufen gut. Das bestätigen auf Nachfrage sowohl FTI, Schauinsland Reisen und FOX-TOURS. Auch Bayern, die Ostseeküste Mecklenburg-Vorpommerns sowie die Nordseeküste generieren bei den großen Veranstaltern große Nachfrage. „Und zunehmend zeichnet sich ein Trend zu kleineren Städten ab; Mainz, Heidelberg, Freiburg und Trier werden bei uns immer beliebter“, so Thomas Rolf von FOXTOURS.

Die deutschen Veranstalter haben den Fuß also in der Tür. Sie haben die Chance, in den kommenden Jahren deutlich stärker als bislang im deutschen Markt mitzuverdienen. Vorausgesetzt sie schaffen es, den Vertrieb noch mehr für das Thema zu begeistern und den Destinationen wieder verstärkt die Mehrwerte einer Zusammenarbeit mit ihnen aufzuzeigen.

Foto: Sven Döring / Agentur Focus