Stephan Semmelmayr, Geschäftsführer Chiemgau Tourismus e.V.

Ein Gespräch über den Chiemsee als ein Bayern im Westentaschenformat, die Notwendigkeit Tourismus über Landkreisgrenzen hinweg zu denken und eine neue Bergbahn-Kooperation, die auf Marketingebene zehn Bahnen von Bad Reichenhall bis nach Oberaudorf klarer als bisher von den Angeboten in Österreich abgrenzen soll.

 

Herr Semmelmayr, Ihre Region wirbt auf der neuen Website offensiv mit dem Namen Chiemsee. Darauf haben Sie lange verzichtet. Sind die jahrelangen Zwistigkeiten zwischen den Landkreisen Rosenheim und Traunstein geklärt?

Über den Namen gab es ja nie Unstimmigkeiten. Der Chiemsee ist der bekannteste Markenbegriff in unserer Region. Und wenn wir den nicht für unser Marketing nutzen, dann wären wir fahrlässig.

 

Gut, aber dürfen Sie es auch?

Die Wasserfläche des Chiemsees gehört zu 98 Prozent zum Landkreis Traunstein. Und die Schiffe haben alle als Kennzeichen ein TS für Traunstein. Also natürlich dürfen wir. Es ist aber natürlich auch gut, dass die Kollegen in Rosenheim damit werben. Je öfter der Name Chiemsee irgendwo auftaucht, desto besser ist es doch. Es macht keinen Sinn, da in Landkreisgrenzen zu denken.

 

Tut der Gast auch nicht. Der will vor Ort ein durchdachtes Angebot. Wie sieht das heute aus?

Wir müssen die Angebote vor Ort sinnvoll bündeln. Dabei ist es völlig unerheblich, ob das ein, zwei oder noch mehr Tourismusverbände leisten. Es muss nur gemacht werden. Diese Herausforderung stellt sich übrigens nicht nur für den Chiemsee, denken Sie an die Bayerischen Alpen. Diesen Begriff können Sie auch nicht allein als Landkreis Traunstein besetzen. Da muss man in Größenordnungen bis nach Garmisch denken.

 

Die Berge sind ein gutes Stichwort. Als Marketingchef in Saalbach haben Sie erlebt, wie eines der größten Skireviere Europas zusammengewachsen ist. Jetzt treiben Sie selbst eine Bergbahn-Kooperation voran. Wie soll sie aussehen?

Bergbahnen sind der Motor einer Tourismusregion, das habe ich in Österreich gelernt. Wenn die gut funktionieren, dann tut es auch der Rest. In Bayern ist dieses Geschäft sehr kleinteilig strukturiert, obwohl der Gast eigentlich überall dasselbe will: auf den Berg.  Wir streben deshalb auf Marketingebene einen Zusammenschluss von zehn Bergbahnen entlang der Chiemgauer Alpen von Bad Reichenhall bis ins Inntal nach Oberaudorf an. Als Chiemgauer Bergbahnen könnten wir viel besser werben, als jeder für sich allein.

 

Soll es auch eine gemeinsame Bergbahnkarte geben? Also einmal bezahlen, mit allen fahren?

Das ist ein mögliches Ziel. Aber das entscheidet jeder Bergbahnchef selbst, ob er das anbieten möchte. Aber ich bin mir sicher: Wenn die Partner sich über die gemeinsame Vermarktung besser kennenlernen und die Möglichkeiten erkennen, wird das ein Thema.

 

Mit welcher Message wollen Sie gegen die Konkurrenz aus Österreich werben?

Wir haben etwas, das Tirol und viele andere nicht haben: das Alpenvorland. In die eine Richtung blickt man wie in Österreich auf ein Gipfelpanorama, aber wenn man sich um 180 Grad dreht, dann liegt da eine ganz besondere Landschaft vor einem – der Chiemgau, der Chiemsee, der Alpenrand. Das ist etwas Besonderes. Darüber hinaus haben wir eine Vielfalt an Bergbahnen, die von der denkmalgeschützten Nostalgiebahn über die Zahnradbahn bis zur modernen Gondel reicht.

 

Ist das Bergbahngeschäft heute eigentlich eher ein Winter- oder Sommergeschäft?

Ein Sommergeschäft. Dieser Trend ist ganz klar. Bis auf Reit im Winkl haben all unsere Orte mehr Gäste im Sommer als im Winter. Die Gründe dafür sind vielfältig: immer weniger Skinachwuchs, immer mehr Urlauber, die altersbedingt nicht mehr auf die Piste gehen, und auch immer mehr Menschen mit Migrationshintergrund, die zum Wintersport kulturell keinen richtigen Bezug haben.

 

Also müssen mit Blick in die Zukunft neue Konzepte für den Winter her.

Das Wintergeschäft bleibt weiter wichtig. Aber dass die Menschen primär im Winter zu uns kommen, um Ski zu fahren – davon müssen wir uns gedanklich verabschieden. In unserer Landschaft und auf unseren Bergen mehr Schnee-Erlebnisse zu kreieren, ohne dass man Skischuhe anziehen muss: Ich glaube das wird ein großes Thema. Davon abgesehen wäre es auch strategisch nicht clever, bei diesem Thema gegen die großen Skireviere in Österreich antreten zu wollen, die viel mehr Schneekompetenz haben – mal von der Winklmoosalm-Steinplatte abgesehen.

 

Wo liegen denn Ihre Kompetenzen? Auf Ihrer Website gibt es beispielsweise eine Gästebefragung. Wie sieht der Gast die Region?

Wir werden mit Ausnahme weniger Orte nicht als Wintersportdestination wahrgenommen. Aber sehr wohl als eine Region, in der man im Winter gut Urlaub machen kann. Viel wichtiger aber: Wir sind ein Paradebeispiel für Laptop und Lederhose, ein Bayern im Westentaschenformat. Unsere Region vereint also viele Themen, die sich Gäste, gerade auch die von außerhalb von Bayern wünschen: die Berge und Seen, das traditionelle Brauchtum, aber eben auch die moderne Interpretation davon, wie das Bands wie LaBrassBanda verkörpern. Die Vielfalt zeichnet uns aus.

 

Woher kommen Ihre Gäste?

Über 90 Prozent kommen aus Deutschland. Und immer mehr aus Bayern selbst. Im letzten Jahr hatten wir erstmals mehr Gäste aus dem Freistaat als aus NRW. Nordbayern ist dabei das größte Einzugsgebiet. Das bedingt, dass das Thema Kurzurlaub eine unglaublich wichtige Rolle spielt. Für die Gastgeber ist das gut, denn in dem Segment können Sie höhere Übernachtungspreise erwirtschaften. Aber auch das Incoming aus Österreich zieht gerade an.

 

Wie sieht es mit den Übernachtungs- und Gästezahlen aus?

2016 war ein sehr gutes Jahr für uns. Aber ich weigere mich schon seit mehreren Jahren diese Übernachtungsstatistik als Maßstab für die touristische Entwicklung heranzuziehen. Wir haben zum Beispiel viel mehr private Vermieter als andere Regionen. Und oft sind es diese kleinen Gastgeber, die ihre Zimmer sehr günstig abgeben. Das ist dann zwar toll für die Statistik, aber bringt kaum etwas für die Wertschöpfung. Wir als Verband leisten gerade hier viel Aufklärungsarbeit, was Vermieter tun sollten, um gute Preise verlangen zu können. Unterm Strich ist es mir lieber, wir verlieren in zehn Jahren zehn Prozent der Gäste, machen aber 20 Prozent mehr Umsatz. Und ich bin dankbar in diesem Punkt die politischen Entscheider hinter mir zu wissen.