Petra Hedorfer, Vorsitzende des Vorstandes der DZT


Ein Gespräch über die Entwicklung der Open Data-Thematik auf Landesebene, den Stand der Entwicklung eines touristischen Knowledge-Graph, und den Umgang von Tourismusorganisationen im Ausland mit der Digitalisierung.


Die DZT ist länderübergreifend federführend bei der Realisierung eines touristischen Knowledge-Graph. Wie ist der Stand dieses Open Data-Projektes?

Wir sind bei diesem außerordentlich komplexen Projekt bereits erheblich vorangekommen. Dabei ging und geht es um die folgenden Bereiche. Erstens: das Bewusstsein für die Entwicklung eines echten Knowledge Graphen zu etablieren, das heißt mehr als eine lockere Datensammlung zusammenzustellen, sondern auf Grundlage eines gemeinsamen technischen Standards aktuelle Daten channelübergreifend effizient vermarkten zu können. Zweitens: eine Struktur für die Weiterentwicklung des Projektes zu finden. Die DZT koordiniert den Prozess mit den LMOs und ausgewählten Partnern, wie den Magic Cities, die wiederum Regionen, Leistungsträger und touristische POIs ins Boot holen.
Drittens: den Ist-Stand zu analysieren. Das zentrale Audit zum Ist-Stand von Datentypen, Content-Typen und verwendeten technischen Systemen wurde planmäßig abgeschlossen.
Viertens: auf Basis der Ergebnisse des Audits weitere Prozessschritte auf Ebene der LMOs und den Magic Cities definieren und die technische Konzeption des Knowledge Graphen umzusetzen.
Fünftens ist seit Mitte November unter www.open-data-germany.org eine Wissensplattform online verfügbar, die allen potenziellen Partnern offensteht und Unterstützung bei zahlreichen Fragen rund um Open Data bietet.

Als wesentliche Grunderkenntnisse sind im Markt heute fest verankert:

  • Open Data ist der zentrale Lösungsansatz für den technologischen und kommerziellen Wandel, der die globale Tourismusindustrie derzeit prägt.
  • Open Data ist essenziell für die weitere Wettbewerbsfähigkeit des Tourismusstandortes Deutschland.
  • Das Profil der Marketingorganisationen von Ländern, Regionen oder touristischen Points of Interest verändert sich. Das Management von Daten und Datenflüssen rückt in den Mittelpunkt. Aus Destination-Marketing wird Destination-Management und schließlich Daten-Management.

 

Kaum ein Bundesland, das derzeit nicht auch an einer Landeslösung für eine relationale Datenbank arbeitet – mit unterschiedlichen Dienstleistern. Lässt sich das am Ende alles wieder sauber zusammenfügen oder entstehen hier im schlechtesten Fall Insellösungen?

 Wir begrüßen es ausdrücklich, dass auch auf Ebene der Bundesländer an Lösungen gearbeitet wird. Das belegt, dass die Notwendigkeit der Entwicklung und Integration von Open Data-Lösungen nicht „von oben“ verordnet wird, sondern tatsächlich auf Ebene der Länder und vieler regionaler Organisationen angekommen ist. Außerdem bedeutet die intensive Beschäftigung mit der Thematik einen Gewinn an Verständnis und Know-how auf breiter Ebene.

Der Vorteil des Knowledge Graphen für den deutschen Tourismus besteht im Gegensatz zu einer einfachen Datenbank darin, dass Knowledge Graphen die einfache Integration vieler verschiedener heterogener Daten unterschiedlicher Anbieter in unterschiedlicher Qualität ermöglichen. Knowledge Graphen sind einfach zu erweitern und zu skalieren.

Jene Datenlieferanten, die bereits mit Dienstleistern arbeiten, die die Daten in den entsprechenden Formaten bereitstellen, können die Anbindung direkt ohne Daten Mappings vornehmen. Optional wird eine Daten Mapping-Software zum Anpassen der Formate bereitgestellt.

 

Wenn der Graph irgendwann steht: Wie konkret profitiert die DZT dann davon für das Auslandsmarketing?

Nicht nur die DZT, sondern der gesamte Tourismusstandort Deutschland wird profitieren. Dadurch, dass der touristische Content an mehr Touchpoints sichtbar wird, steigt auch die Zahl potenzieller Gäste, die wir erreichen.

Aus dem verfügbaren Content können neue Produkte und Services entstehen, die gerade die Tech-affinen Gäste begeistern und damit das positive Image des Reiselands Deutschland weiter erhöhen.

Produktentwickler im In- und Ausland können auf eine singuläre Datenquelle zugreifen, über die hochwertiger und sauber strukturierter Content zur Verfügung steht. Dies gilt insbesondere für die Entwickler von technologisch innovativen Produkten auf Basis von Künstlicher Intelligenz, die mit zunehmender Reife der Technologie auch verstärkt in der Tourismusindustrie auftauchen.

 

Welche weiteren Tech-Trends beobachten Sie gerade – und welche sind Ihrer Meinung nach für den Tourismus besonders wichtig?

Wir beobachten eine Vielzahl technologischer Entwicklungen und Trends, die für den Tourismus relevant werden können. Entscheidend wird nicht die einzelne technische Neuerung sein, sondern die Verknüpfung.

Beispielsweise haben wir erste sehr positive Erfahrungen gesammelt, wie immersive Technologien wie VR, AR, MR im Sinne der Reiseinspiration eingesetzt werden können.

In Verbindung mit Conversational Interfaces – beispielsweise Spracherkennung – lässt sich das Anwendungsspektrum deutlich erweitern.

Kommt der potenzielle Gast, der sich einmal in dieses digitale Universum eingeklinkt hat, tatsächlich in die Destination, stehen weitere Verknüpfungen mit digitalen Services von der digitalen Gästekarte für den Touristen bis zum aktiven Gästemanagement durch die DMOs offen und ermöglichen immer weitere Erlebnismöglichkeiten – eine völlig neue Qualität der Interaktion zwischen Gast und Reiseziel.

 

Die DZT hat den Blick auch über Ländergrenzen hinweg: Wie gehen Tourismusorganisationen im Ausland mit der Digitalisierung um, wovon können wir lernen?

Einige andere europäische Länder haben die Chancen von Open Data bereits erkannt und destinationsübergreifende Knowledge Graph-Lösungen entwickelt. Konkrete Beispiele gibt es aus Frankreich, der Schweiz, verschiedenen Provinzen in Italien. In Österreich wird das Thema im neuen Regierungsprogramm offensiv vorangetrieben.

Deswegen müssen wir zügig handeln, um im Wettbewerb nicht den Anschluss zu verlieren.

Gerade das Beispiel Österreich zeigt, dass derart komplexe und auch kostenintensive strukturelle Innovationsprozesse in der meist mittelständisch geprägten und kleinteiligen Tourismusindustrie nur schwer umsetzbar sind. Hier ist die Definition von Leitlinien durch die Politik hilfreich.

Die deutsche Bundesregierung hat das erkannt und unterstützt diese Prozesse durch ihre Digitalisierungsstrategie.

 

Abschlussfrage: Was können die deutschen Tourismusorganisationen konkret selbst tun, um sich digital richtig aufzustellen?

Digitale Transformation ist ein ausgesprochen komplexer Prozess. Da geht es weniger um „Richtig“ oder „Falsch“, sondern in erster Linie darum, Chancen frühzeitig zu erkennen und sich an den Prozessen aktiv zu beteiligen.

Bei der digitalen Ausstattung ist eine möglichst lückenlose Internetversorgung in den touristischen Regionen unabdingbar, denn ohne Datennetz funktionieren die schönsten Anwendungen nicht. DMOs können das beispielsweise durch die Einrichtung von öffentlichen WLAN-Hotspots in Urlaubsorten überbrücken.

Datenseitig haben wir im Open Data-Projekt bereits viele Partner im Deutschlandtourismus gewinnen können. Indem jede Region, jeder touristische Leistungsträger, jeder POI seine Daten aktuell in geeigneten Formaten zur Verfügung stellt, können wir den Knowledge Graphen in der von uns angestrebten Qualität entwickeln und komplettieren.

Darüber hinaus gibt es unzählige Ideen von der digitalen Gästekarte bis zu digitalen Services vor Ort, um die Destination für den Gast noch komfortabler und erlebnisreicher zu gestalten. Der Schlüssel dazu heißt Vernetzung. Das Zusammenspiel und der Austausch der Tourismusorganisationen ist hier der zentrale Ansatz.