Norbert Kunz, Geschäftsführer Deutscher Tourismusverband DTV

Ein Gespräch über den Deutschlandtourismus in Zeiten von Corona, die Kommunikation mit der Politik und Gesetzgebungsprozese im Hauruck-Verfahren zum Nachteil für die Branche, und warum das Reisland Deutschland trotzdem schnell zu alter Stärke zurückfinden wird.

Blickt optimistisch nach vorne: DTV-Geschäftsführer Norbert Kunz.

 

Herr Kunz, der Deutschlandtourismus blickt nach zehn Rekordjahren in Folge auf das wohl schwierigste Jahr jemals zurück. Hätten Sie im März geglaubt, dass die Krise solche Ausmaße annehmen könnte?

Nein, das war so nicht absehbar. Dass wir jetzt schon 9 Monate lang mit der Pandemie kämpfen, hätte niemand erwartet. Umso wichtiger ist es deshalb, jetzt endlich für echte Perspektiven für den Neustart des Deutschlandtourismus zu sorgen.

 

Dass die Krise ist, was sie ist, hat viel mit dem Handeln – und Nichthandeln – der Politik zu tun. Der DTV hat immer wieder klare Forderungen an Berlin gerichtet. Und wie nie zuvor haben die Verbände DTV, RDA, DRV & Co. mit einer Stimme gesprochen. Warum kamen zentrale Botschaften trotzdem nicht an?

Zunächst: Viele Botschaften kamen an! Wir als DTV haben der Politik zum Beispiel von Anfang an gesagt, dass Tourismus sehr vielfältig und allem voran Klein und Mittelstand ist. Auch bei den November-, Überbrückungs- oder Wirtschaftshilfen konnten viele unserer Forderungen berücksichtigt werden. Ein weiteres Beispiel ist, dass wir der Politik erklärt haben, dass die Kommunen durch die wegbleibenden Gäste massive Einnahmeverluste haben. Das wurde dann zumindest teilweise mit dem kommunalen Solidarparkt abgefedert, bei dem der Bund den Kommunen die Gewerbesteuerausfälle ersetzt. Gleichzeitig sind aber viele Fragen noch nicht gelöst. So fallen bei den Hilfsmaßnahmen immer noch touristische Akteure durch das Netz. Dazu gehören etwa die Schausteller, die Kleinstvermieter von Ferienwohnungen oder auch Tourismusvereine. Auch unsere Forderung nach einer Task-Force für den Deutschlandtourismus besteht fort. Aber ich bin zuversichtlich, dass wir mit dem Start der Nationalen Tourismusstrategie Anfang 2021 ein gutes Instrument für den Neustart bekommen werden.

 

Sie haben scharf den Gesetzgebungsprozess des neuen Bevölkerungsschutzgesetz (Infektionsschutzgesetz) kritisiert. Was ist hier aus Ihrer Sicht schiefgelaufen – und welche Gefahren verbergen sich darin für die Zukunft?

Parlamentarisch ist dieser Gesetzgebungsprozess ein bislang einmaliger Vorgang. Normalerweise werden Gesetze nicht im Hauruckverfahren verabschiedet, sondern es gibt gewisse Gepflogenheiten in einem solchen Prozess, etwa das Einbeziehen von Verbänden und Betroffenen. Hier wurde aber der komplette Deutschlandtourismus nicht einbezogen, obwohl er am meisten von den staatlichen Eingriffen betroffen ist. Die Anhörung  fand ohne die maßgeblichen Verbände statt. Nicht einmal der Tourismusausschuss des Bundestages wurde als betroffener Ausschuss in den Gesetzgebungsprozess eingebunden. All das wurde auch nachträglich nicht mehr „geheilt“. Das Ergebnis: Der Tourismus steht pauschal als Pandemietreiber dar – was er der Faktenlage nach aber nicht ist. Gastronomie und Tourismus mussten wieder als erste in den Lockdown – obwohl dadurch ein deutliches Absinken der Infektionen nicht erreicht werden konnte. Wir sind auch sehr unglücklich darüber, dass es beim Infektionsschutzgesetz keine Differenzierungen für die touristischen Bereiche gibt. Und auch bei den Schutzmaßnahmen rangieren Alltagsmaske und Abstandsregelung auf gleicher Ebene wie Beherbergungsverbote. Das ist ein echtes Problem, da muss mehr differenziert werden.

 

Wie ist die Stimmung derzeit bei den Mitgliedern des DTV?

Die Stimmung ist durch den langen Lockdown natürlich im Keller. Aber der Optimismus ist es nicht. Wir sind uns alle sicher, dass der Deutschlandtourismus zu seiner alten Stärke zurückfinden wird. Aber es wird ein Marathon. Die vergangenen neun Monate haben bewiesen, dass die gesamte Branche stark ist, kreative und innovative Lösungen erarbeitet und zeigt, dass Deutschland ein attraktives und sicheres Reiseziel mit hohen Qualitätsstandards ist. Und in der Krise liegen auch Chancen. Der Tourismus ist auf allen Ebenen endlich viel stärker im politischen Fokus, während er früher doch oft als Selbstläufer und als Selbstverständlichkeit wahrgenommen wurde. Viele Touristiker pflegen mit der Politik auf Landes- und Kommunalebene heute einen viel intensiveren Austausch als vor dieser Krise. Und vor allem haben es die Akteure auch geschafft, in ihren Zielgruppen Vertrauen für kommende Aufenthalte zu sichern.

 

Klagen, gegen zum Beispiel die Beherbergungsverbote, wurden in der Regel nicht von Tourismusorganisationen angestoßen, sondern von Hoteliers, Pensionsbetreibern usw. Haben sich die Tourismusorganisationen nicht getraut, gegen ihre Geldgeber aus der Politik Stellung zu beziehen?

Dass Betriebe in ihrer existenziellen Notlage die Gerichte anrufen, ist absolut nachvollziehbar. Sie sind die Hauptbetroffenen der Verbote. Wir als Verbände müssen jedoch dafür sorgen, dass die Anliegen der Branche in der Politik Gehör finden und in die Gesetzgebung einfließen, so dass es gar nicht erst zu Klagen kommen muss. Beim Infektionsschutzgesetz war das nicht möglich, möglicherweise war unsere Expertise auch nicht gewünscht. Nun haben wir ein Gesetz, dass bei nicht wenigen Zweifel daran aufkommen lässt, ob es verfassungskonform ist.
Ich weiß, dass es ein längerer Prozess ist, aber gerade die LMOs und DMOs haben sich in der Krise mehr denn je zu Management-Organisationen weiterentwickelt und in Gesprächen mit der Landespolitik viele Dinge bewegt, ihre Rolle also selbstbewusst wahrgenommen. Nehmen wir beispielhaft den Tourismusverband Mecklenburg-Vorpommern, der in einer Task Force auf Landesebene ein hervorragendes Krisenmanagement betreibt und gleichzeitig Lösungen für die Zukunft erarbeitet. Ich habe auch nicht den Eindruck, dass es auf der kommunalen Ebene leise ist. Nur stehen Task Forces auf regionaler Ebene, von denen es auf Bundesländer-Ebene mehrere gibt, nicht unbedingt immer im medialen Fokus.

 

Wenn es etwas Positives an der Krise gibt, was ist das?

Was mir positiv auffällt, ist, dass viele Akteure ihre Geschäftsmodelle hinterfragen und dabei Faktoren wie Krisenfestigkeit, aber auch Nachhaltigkeit einbeziehen. Die Betriebe, große wie kleine, begreifen diese Zeit also durchaus als Chance, Gewohntes zu hinterfragen und Veränderungen einzuleiten. Was ich ebenfalls positiv erlebe, ist, dass es wieder einen viel stärkeres Bedürfnis der Gäste nach Qualität, Sicherheit, Innovationen und nach Regionalität und Nachhaltigkeit gibt. Im Lockdown haben sehr viele ihre Umgebung als Tagestouristen neu kennen und schätzen gelernt. Die Tourismusorganisationen haben es verstanden, daraus Kundenbeziehungen zu entwickeln und ihre regionalen Netzwerke zu stärken. Auch mit Blick auf das Verhältnis von Städten zu ihrem Umland hat sich etwas verändert: Städtetourismus endet künftig nicht mehr an der Stadtgrenze, sondern wird die meist naturnahen, oft nachhaltigen Angebote der Region mit denen der City verknüpfen, wobei die Metropolen ihre DNA als Schmelztiegel, als Ort für Events und Kultur, mit ihrem internationalen Flair und ihrer Vielfalt einbringen.

 

Auch die Digitalisierung hat einen enormen Schub erfahren. Doch was machen wir mit diesen technischen Lösungen, von der digitalen Registrierung im Restaurant bis zur Besucherlenkung in Destinationen via W-Lan-Tracking, wenn Corona vorbei ist? Der Mensch ist gläsern wie nie zuvor.

Ich glaube sogar, die Menschen wären durchaus bereit, mehr Daten bereitzustellen, wenn daraus ein unmittelbarer Nutzen oder Mehrwert entsteht. Für der Corona-Warn-App zum Beispiel würden sich viele User wünschen, dass sie ihnen auch sagt, wo und wann es einen Risikokontakt gab. So könnte man sein Verhalten entsprechend anpassen. Die Information allein, dass es einen Kontakt gab, ist für die meisten zu wenig. Jetzt endlich beginnt ja die Diskussion darüber, ob überzogener Datenschutz ein Hemmschuh für die Bekämpfung der Corona-Pandemie ist, während es gleichzeitig zu Grundrechtseingriffen in bisher nie bekanntem Ausmaß kommt. In der Digitalisierung für Destinationen und Gäste liegen viele Chancen. Wenn man vor dem Restaurantbesuch schon per App den Tisch reservieren kann, führt das zu mehr Komfort beim Gast – und einer besseren Planbarkeit in den Betrieben. Die Digitalisierung sorgt dafür, dass sich alle mehr auf das Wesentliche konzentrieren bzw. das Urlaubserlebnis genießen können, statt sich mit dem alltäglichen Kleinklein beschäftigen zu müssen.

 

Mit Blick ins neue Jahr: Wie schätzen Sie die Lage für den Deutschlandtourismus ein?

Der Wunsch aller Akteure in der Branche ist es, endlich wieder arbeiten zu können. Und ich bin Optimist. Ich bin sicher: Wenn wieder gereist werden darf, wird auch wieder gereist werden! Das haben wir diesen Sommer gesehen. Und ich glaube auch, dass der Deutschlandtourismus – und darunter vor allem ländliche und naturnahe Regionen – vom Re-Start profitieren werden. Eine große Herausforderung wird die Tourismusfinanzierung sein, damit es auch weiterhin eine hohe Qualität bei der Infrastruktur und in den Betrieben gibt. Durch Corona wird der Investitionsstau noch größer werden. Für die Kommunen und die Betriebe werden wir deshalb noch lange passgenaue Förderprogramme benötigen, damit hier nach diesem finanziell schweren Jahr in die Zukunft investiert werden kann. Mir fehlt bisweilen in der Politik der Blick dafür, dass für den Tourismus stetige Investitionen und Innovationen Antreiber und Kraftquellen sind. Ohne Investitionen kann sich kein Betrieb am Markt halten. Nach 9 Monaten größter geschäftlicher Einschränkungen fehlen aber vielen Betrieben jetzt die Rücklagen für Investitionen. Touristische Strukturen sind aber auch entscheidend für die Lebensqualität in den Regionen selbst. Die Zukunft steht und fällt also mit der Innovations- und Investitionskraft des Tourismus.