Dr. Marcel Klinge, Tourismuspolitischer Sprecher der FDP-Fraktion

Ein Gespräch über den fehlenden Einsatz der Bundesregierung für die mittelständisch geprägte deutsche Touristik in Brüssel, die nationale Tourismusstrategie im Koalitionsvertrag, und warum die Branche mit ihren Themen nicht richtig bei der Bundespolitik durchdringt.

Foto: Jens Hagen

 

Herr Klinge, die Politik hat der Tourismusbranche in den letzten Jahren viel Kummer bereitet. Stichworte: Pauschalreiserichtlinie, DSGVO, Gewerbesteuerliche Hinzurechnung usw. Wieso macht die Politik der Branche das Leben so schwer?

Das ist eine Frage, die ich mir selbst auch stelle. Denn der Tourismus ist für unsere Wirtschaft eine Schlüsselbrache mit 105 Milliarden Euro Bruttowertschöpfung. Damit liegt der Tourismus sogar vor der Automobilindustrie. Dass der Branche dennoch vergleichsweise wenig Wertschätzung und Aufmerksamkeit entgegengebracht wird, hat meiner Meinung nach zwei Hauptgründe.

 

Welche wären das?

Zum einen findet die Branche wenig Gehör in der nationalen Politik. Man sieht das schön im Bundestag: Wenn dort Debatten zum Thema Tourismus stattfinden, ist der Bundeswirtschaftsminister nie da, obwohl er ja eigentlich angekündigt hatte, gerade für die mittelständischen Unternehmen mehr tun zu wollen. Und der Tourismus ist überwiegend mittelständisch geprägt! Und genau das ist es auch, was in Brüssel nicht verstanden wird. Was dort entschieden wird, ist für große Konzerne leichter umsetzbar, stellt aber unseren Mittelstand vor extreme Herausforderungen. Mittelstand, in der Breite, wie es ihn bei uns in Deutschland gibt, kennt man in vielen anderen Ländern der EU nicht. Und unsere Regierung schafft es nicht, diese deutschen strukturellen Besonderheiten entsprechend zu platzieren.

 

Aber der DRV sagt beispielsweise, dass in Sachen Pauschalreiserichtlinie bei der Umsetzung in deutsches Recht viel erreicht worden sei. Wie sehen Sie das?

Zunächst einmal wäre es besser gewesen, schon in Brüssel bei der Entstehung von Gesetzen und Richtlinien die Interessen der Branche viel stärker zu vertreten, als hinterher national flicken zu müssen. Und zur Umsetzung in deutsches Recht kann ich nur sagen, dass es enttäuschend war. Ich habe in einem Reisebüro den Praxistest gemacht und mir das angeschaut. Und was Kunden da jetzt an völlig unnötigem Papierkram ausgehändigt bekommen, ist völlig untauglich für die Praxis und wird von kaum jemandem gelesen. 10 bis 15 Minuten gehen damit wegen der neuen Informationspflichten pro Beratung verloren. Rechnen Sie das mal hoch auf die Anzahl an Beratungsgesprächen in den 11.000 deutschen Reisebüros.

 

Wie sieht es mit der DSGVO aus?

Auch hier wurde geradezu fahrlässig gehandelt, weil Deutschland zu den von der EU geforderten Maßnahmen sogar noch welche obendrauf gepackt hat. Wir haben die Ausnahmeregelungen und Spielräume ja gar nicht in Anspruch genommen, die sich von der EU-Seite geboten hätten. Ganz anders hat das Österreich gemacht. Ganz konkret hat unsere Regierung bei den Öffnungsklauseln, etwa ab wann man überhaupt einen Datenschutzbeauftragten braucht, gepennt. Das hat bei den vielen kleinen Betrieben zu jeder Menge unnötiger Mehrarbeit geführt.

 

Martin Schulz (SPD) hat auf der diesjährigen DRV-Jahrestagung gesagt, dass Dinge, die national gut zu klären seien, auch national geklärt werden sollten. Die EU solle sich umgekehrt um die Themen kümmern, die auf Länderebene eben nicht lösbar sind – zum Beispiel Klimawandel, Bündnisverteidigung oder internationale Finanzströme. Eine späte Erkenntnis?

Ach, das ist ja ein beliebtes Spiel zwischen Brüssel und Berlin, sich immer den Schwarzen Peter hin und her zu schieben. Die Leute vor Ort sind die Leitragenden. Fest steht: Fast alles, was in letzter Zeit in Brüssel – und im Dialog mit unserer Regierung – verabschiedet wurde, geht zu Lasten des Mittelstandes.

 

Woran liegt es also, dass die Tourismusbranche nicht so durchdringt mit ihren Argumenten wie die Automobilindustrie. Gibt es vielleicht zu viele Verbände, die teils Unterschiedliches fordern?

Ich denke, dass es auch Aufgabe der Politik ist, etwa von uns Vertretern im Tourismusausschuss, die Bedeutung der Branche für unsere wirtschaftliche Entwicklung präsent zu machen. Diese Aufgabe sehe ich also nicht nur bei den touristischen Verbänden. Das wäre zu einfach. Per se finde ich es gut, dass es bei uns spezialisierte Verbände für verschiedene Themenbereiche gibt. Das ist oft hilfreich. Aber solange der Tourismusbeauftrage der Bundesregierung, Thomas Bareiß (CDU), gleichzeitig die Themen Außenhandelswirtschaft und Energie auf der Agenda hat, fällt vieles hinten runter. Ich hätte mir einen Staatssekretär gewünscht, der sich nur um den Tourismus kümmert. Aber das zeigt, dass der Tourismus nicht den Stellenwert bei der Großen Koalition hat, den er verdient.

 

Aber die Umsetzung einer nationalen Tourismusstrategie hat es immerhin in den Koalitionsvertrag geschafft.

Als einzige konkrete Maßnahme. Ja. Und bislang ist von der Koalition innerhalb eines ganzen Jahres noch nichts vorgelegt worden. Das geht viel zu langsam. Jetzt gibt einen ganz groben Fahrplan für die nächsten zwei Jahre. Ich meine, wir sollten da viel ambitionierter sein. Gerade das Thema Digitalisierung wird sträflich vernachlässigt.

 

Was hat Digitalisierung für Sie und Ihre Partei mit Tourismus zu tun?

Eine wirklich gute digitale Infrastruktur ist die zukünftige Grundlage für internationale Wettbewerbsfähigkeit und die Entwicklung neuer Produkte. Jede fünfte Übernachtung in Deutschland findet im ländlichen Raum statt. Wenn dort aber schnelles mobiles Internet nicht zur Verfügung steht, können die Regionen ihre Gäste vor Ort mit digitalen Informationsangeboten und Produkten nicht zuverlässig erreichen. Ich denke da zum Beispiel an den ganzen Outdoor-Bereich. Wenn man wandert, Ski fährt oder mit dem Rad unterwegs ist und hat kein Netz, um sich mögliche Routen, Einkehrmöglichkeiten und weitere Serviceangebote anzeigen zu lassen, dann bremst das die Entwicklung immens.

 

Was fordert die FDP ganz konkret im Bereich Tourismuspolitik?

Für uns ist Tourismuspolitik Mittelstandspolitik. Das heißt, wir wollen kleine und mittlere Unternehmen und Familienbetriebe in die Lage versetzen, ihre Arbeit vernünftig machen zu können. Ganz wichtig ist dafür der Abbau von Bürokratie und mehr Flexibilität, zum Beispiel bei Arbeitszeiten in der Hotellerie und Gastronomie. Der Tourismus ist dazu eine saison- und eventabhängige Branche, braucht also einen flexibleren Rahmen als andere. Auch das Thema Ausbildung müssen wir stärker im Blick haben. Und nicht zuletzt müssen wir Lust machen, Unternehmen zu gründen oder sie weiterzuführen. Heute wird einem die Lust aber regelrecht genommen, weil einem viele Steine in den Weg gelegt werden. Deswegen verpuffen auch Förderprogramme.

 

Wie könnte die Politik konkret zum Beispiel beim Thema Fachkräftegewinnung unterstützen?

Genau genommen sind wir vielerorts schon einen Schritt weiter: In Teilen Bayerns und Baden-Württembergs haben wie nicht nur einen Fachkräftemangel, sondern schon einen Mangel an einfachen Arbeitskräften. Betriebe finden also auch keine Mitarbeiter für minderqualifizierte Jobs.
Die FDP schlägt hierzu ein Maßnahmenpaket vor. Erstens brauchen wir ein echtes Fachkräftezuwanderungsgesetz. Wir müssen also versuchen, gut qualifizierte Leute nach Deutschland zu holen. Im Bundestag haben wir zum Beispiel beantragt, das Programm „Work & Travel“ auszubauen. Viele junge Menschen aus Deutschland gehen bekanntlich für eine Weile ins Ausland – warum nicht mehr junge Talente aus dem Ausland zu uns holen? Zweitens müssen wir die Abbrecherquote bei der Berufsausbildung verringern. Als Beispiel könnten an weiterführenden Schulen mehr Praktika stattfinden, damit die Jugendlichen einen realistischen Einblick in das Berufsfeld erhalten. Drittens: den Tourismus als attraktiven und vielseitigen Arbeitsbereich in den Fokus rücken, um Menschen dafür zu begeistern, die sich bislang nicht vorstellen konnten, dort zu arbeiten.