Dr. Heike Döll-König, Geschäftsführerin Tourismus NRW

Ein Gespräch über die neue Landestourismusstrategie und ihre digitale DNA, die Notwendigkeit auf Seiten der Akteure aufzuhören, in Gegensätzen zu denken und eine Politik, die Tourismus endlich nicht mehr als Fremdenverkehr begreift.

 

 

Frau Döll-König, auf dem Tourismustag NRW wurde nun die neue Landestourismusstrategie vorgestellt. Darin werden fünf Erfolgsfaktoren für die Zukunft besonders hervorgehoben. Wie zufrieden sind Sie insgesamt mit den Ergebnissen?

Wir sind mit der Tourismusstrategie sehr zufrieden. Zum einen wird der bisherige Masterplan damit strategisch unter dem Motto „Mehr Management“ sinnvoll fortgeschrieben. Darüber hinaus werden nun aber auch sehr stark die digitalen Herausforderungen für die Zukunft in den Blick genommen. Man kann sogar sagen, dass die digitale Transformation die DNA der Strategie bildet. Was in der neuen Strategie ebenfalls sehr deutlich verankert wurde, ist die Notwendigkeit einer stärkeren Internationalisierung. Und es wird deutlich, dass die Politik Tourismus nicht mehr als Fremdenverkehr begreift, sondern als Branche mit vielen Querverbindungen in andere gesellschaftliche Bereiche.

 

Lassen Sie uns die Strategie-Punkte bitte einzeln genauer anschauen. Beginnen wir mit „Individualisierung und Profilierung“. Bitte erläutern Sie das.

Vorweggeschickt möchte noch sagen, dass es bei der neuen Landestourismusstrategie um eine Veränderung des Mindsets bei allen Akteuren geht. Wir müssen aufhören, in Gegensätzen zu denken. Es geht nicht um digital oder analog, international oder regional etc., sondern darum, dass man sich in vielen Feldern für keine Seite entscheiden muss, sondern sich gerade in diesem scheinbaren Widerspruch neu positionieren muss. Der Punkt „Individualisierung und Profilierung“  bedeutet, dass wir uns im Marketing und in der Kommunikation künftig stärker auf Zielgruppen, statt auf Themen fokussieren werden. Dabei werden wir auch einen neuen Zielgruppenansatz verfolgen.

 

Welchen?

Statt an soziodemografischen Merkmalen werden wir unsere Zielgruppen an gemeinsamen Werten festmachen, wie es der Sinus-Mileu-Ansatz vorsieht. Dadurch können wir passgenauere Angebote machen. Zum anderen, und das ist mit Profilierung gemeint, werden wir künftig noch stärker Schaufensterprodukte nach vorne schieben, um NRW ein klareres Profil zu verpassen. Wobei die Frage, was denn ein Schaufensterprodukt ist, ganz von den Zielgruppen her zu denken ist. Das kann dann für die Zielgruppen, die wir als Landesverband bearbeiten wollen, auch deutlich abgegrenzt sein von einem sagen wir klassischen touristischen Angebot. Wichtig ist und bleibt hier die emotionale Inszenierung, was wir seit einem Jahr mit ganz neuen Kampagnen vor allem im Social Media Bereich machen. Das wollen wir ausbauen, aber dazu brauchen wir auch noch mehr hochwertigen, für alle verfügbaren Content.

 

Wie sieht es im Bereich Marktforschung aus?

Sie ist als Erfolgsfaktor in der neuen Landestourismusstrategie gesondert genannt. Marktforschung ist natürlich die Basis dafür, jedem das gerade passende Produkt zu empfehlen. Ganz allgemein soll uns die Marktforschung aber auch weiterhin dabei helfen, überhaupt zu erfahren, was sich die Gäste, die zu uns kommen, wünschen, um entsprechende Produkte erst entwickeln zu können. Die Marktforschung hatte gerade bei uns im Verband schon immer einen wichtigen Stellenwert. Und der soll nun noch weiter erhöht werden – auch indem wir ganz neue Möglichkeiten wie Echtzeitdaten nutzen und sie mit klassischen Marktforschungsergebnissen verschneiden, um unsere Gäste und ihre Wünsche und Bedürfnisse noch besser kennenzulernen.

 

Wie beschreibt die Tourismusstrategie den Punkt „Internationalisierung“?

Für die Strategie haben die Gutachter Quellmärkte umfassend danach untersucht, welche Chancen sie für Nordrhein-Westfalen bieten. In den kommenden Wochen werden wir uns das ganz genau anschauen und uns mit mit der Frage beschäftigen: Welche Zukunftsmärkte müssen wir also wie bearbeiten? Dass wir die Benelux-Länder gut kennen, ist klar. Aber Märkte wie China oder Japan sind eine Herausforderung bezüglich des besten Zugangs. Vielleicht werden wir als Landesverband dort gar nicht im Marketing vorpreschen, da hier andere Partner im Land schon gut unterwegs sind. Vielleicht ist es stattdessen sinnvoller, uns stärker als Enabler zu positionieren und zu schauen, die richtigen Daten für dortige Portale lesbar bereitzustellen. Aber auch für die internationale Profilierung brauchen wir regional authentische Produkte und Erlebnisse. Das unverwechselbare Produkt und der hochwertige Content dazu sind auch hier die Schlüssel. Rund 20 Prozent der Gäste in NRW kommen übrigens aus dem Ausland. In den Städten liegt dieser Prozentsatz höher, auf dem Land teils deutlich darunter.

 

In der Tourismusstrategie ist weiter von „Innovation und Vernetzung“ zu lesen. Wie soll das mit Leben gefüllt werden?

Zum einen gehen wir hier darauf ein, dass zum Beispiel Produktzyklen im digitalen Zeitalter immer kürzer werden. Das müssen wir in unserer Arbeit entsprechend berücksichtigen. Eine Stärken-Schwäche-Analyse hat uns außerdem gezeigt, dass es im Bereich der Privatwirtschaft hier in NRW leider noch an Investitions- und Innovationsdynamik fehlt. Hier werden wir mit Impulsen unterstützen müssen. Die Städte marschieren meist vorneweg, weil sich hier Trends immer zuerst Bahn brechen. Aber Stadt und Land dürfen sich nicht zu weit auseinanderentwickeln. Mit Vernetzung ist gemeint, dass sich jeder Akteur auf seine Stärken besinnen sollte, um erfolgreich zu sein. Im Umkehrschluss heißt das, dass man allein niemals diese großen Veränderungen bewältigen kann. Weder finanziell noch ressourcentechnisch. Es geht also darum, sinnvolle Netzwerke zu schließen, um Dinge gemeinsam zu gestalten. Dieses Miteinander sollte im Idealfall gekennzeichnet sein auch von einer klaren Aufgabenteilung zwischen den einzelnen touristischen Ebenen.

 

Aber Innovationen und Investitionen kann man nicht verordnen.

Das stimmt. Hier kann man mit Tourismusförderung aber gut ansetzen. Und das geschieht ja auch schon. Aber auch dort, wo Dinge bereits existieren, muss die Qualität besser werden. NRW hinkt dem Bundesdurchschnitt hier leicht hinterher, wobei die Städte, von denen wir ja viele haben, bundesweit bei der Gästezufriedenheit tendenziell schlechter abschneiden als die ländlichen Räume. Hier kommen wir auch wieder dazu, dass digital und analog kein Widerspruch sind, sondern zwingend zusammen gedacht werde müssen. Zwar bucht der Gast immer mehr digital, aber das Erlebnis vor Ort ist doch überwiegend ein analoges. In diesem Bereich der Customer Journey entsteht die erlebbare Qualität – und damit die Bereitschaft wiederzukommen. Und für den Bereich Innovation müssen wir lernen, noch viel stärker außerhalb des Tourismus‘ zu schauen und dann quer zu denken. Denn die großen Innovationen sind ja selten im Tourismus entstanden, sondern wurden dann sinnvoll adaptiert.

Genau diesen Ansatz, über den Tellerrand der Branche hinaus zu schauen, verfolgen wir mit unserem Starterprojekt „Integriertes Tourismus- und Standortmarketing für die kreative und digitale Wirtschaft in NRW“. Durch die gezielte Vernetzung unter anderem mit der Kreativszene und digitalen Start-ups wollen wir innovative Produkte und Angebote anstoßen. Daneben werden wir noch ein zweites Starterprojekt für ein touristisches Datenmanagement in NRW beantragen. Hierbei geht es insbesondere darum, Daten im Land einheitlich maschinenlesbar aufzubereiten, sodass sie für unterschiedliche Ausgabeformate wie Apps, Internetseiten, digitale Sprachassistenten etc. geeignet sind. Das heißt, wir werden dann hoffentlich einen großen Pool an qualitativ hochwertigen Daten haben, die von anderen, aber natürlich auch von uns selbst genutzt werden können. Und im besten Fall lassen sich aus den Daten sogar neue Geschäftsmodelle entwickeln.

 

Wer hat bei der neuen Strategie mitgearbeitet und unterstützt und wie ist der Zeithorizont für die Umsetzung angelegt?

In Auftrag gegeben wurde die Landestourismusstrategie vom Landeswirtschaftsministerium beim dwif. Wir haben als Tourismus NRW dann alles getan, um zu unterstützen. Einen zeitlichen Zielpunkt gibt es im Gegensatz zu Fünf-Jahres-Plänen oder anderen Landestourismusstrategien aber nicht. Stattdessen wird auf die zukünftigen Erfolgsfaktoren im Tourismus gezielt und aufgezeigt, dass jede Entwicklung ein Prozess ist. Das bedeutet auch, dass wir immer wieder neu analysieren und vielleicht nachjustieren müssen. Anpassungsfähigkeit, hinterlegt mit Fördermitteln, ist also das alles Entscheidende in einem dynamischen Wettbewerbsumfeld. Agilität kann man nicht mit einem Zieldatum belegen.

 

Apropos Politik: Ist aus dem Fakt, dass der Landeswirtschaftsminister das Konzept auf dem Tourismustag NRW vorgestellt hat, zu schließen, dass das Standing des Tourismus in NRW inzwischen sehr gut ist?

Ich würde das bejahen. Und zwar, weil die Landesregierung sich zum Tourismus als eine Branche bekennt, die auch den Einheimischen dient. Dass Tourismus auch Standortmarketing ist und die Lebensqualität aller vor Ort verbessert, ist inzwischen Konsens. Die neue Strategie beschreibt den Tourismus daher ganz richtig als eine Klammer regionaler Entwicklung für qualitativ hochwertige Lebensräume. Das funktioniert auch deshalb gut, weil sich die Ansprüche eines Gastes an eine Destination mittlerweile in vielen Bereichen sehr stark an die Erwartungen der Einheimischen annähern.

 

Abschlussfrage: Der Deutschlandtourismus schwächelt in einigen Bundesländern, das 10. Rekordjahr in Folge ist noch nicht sicher. Wie sieht es in NRW aus?

Nach neun Wachstumsjahren wird es immer schwieriger weiterzuwachsen. Nach etwas unter 2 Prozent mehr Übernachtungen 2018 liegen wir derzeit bei 2,5 Prozent mehr Ankünften und einem Übernachtungsplus von 1 Prozent im ersten Quartal 2019. Es sieht also ganz gut aus. Und was wir sehen: 2018 war der heimische Markt der Wachstumstreiber, nicht wie sonst das Incoming. Wir haben auch unsere Position als zweitbeliebtestes Kurzreiseziel in Deutschland gehalten. Aber ich rate allen, auch eine Stagnation mal auszuhalten. Wachstum heißt auch nicht immer nur mehr Gäste. Qualität und Wertschöpfung können auch wachsen mit weniger Gästen.