Digitale Transformation und nachhaltiger Tourismus – ein Spannungsbogen

Digitalisierung und Nachhaltigkeit sind als zwei Megatrends und zentrale Handlungsfelder in der gesamten Wertschöpfungskette der  Tourismuswirtschaft längst etabliert. Corona hat aber auch in diesem Zusammenhang als Verstärker für laufende Prozesse gewirkt. Wie stehen diese Trends zueinander, wo gibt es Synergien, Überlappungen oder Widersprüche, die es aufzulösen gilt? Oder sind das vielmehr zwei Seiten einer Medaille? Fünf Gedanken zur aktuellen Diskussion

Von Petra Hedorfer

1. Die digitale Transformation unterstützt nachhaltige Mobilität

Mobilität ist die Voraussetzung für alle positiven Effekte des Tou­rismus – von der Völkerverständigung durch interkulturellen Aus­tausch über das Grundrecht auf Erholung, die Prosperität von Unternehmen bis zu den positiven wirtschaftlichen Effekten in den bereisten Destinationen wie auch in den Herkunftsländern. Die digitale Transformation bietet breit gefächerte Anwendungs­möglichkeiten, um Mobilität nachhaltiger zu gestalten. Geeignete Instrumente, um Emissionen durch Mobilität zu redu­zieren, sind beispielsweise intermodale Verkehrssysteme, „seam­less“ Mobilität, eine kontinuierliche Verbesserung des ÖPNV, aber auch ein optimiertes Kapazitätsmanagement, die Digitalisierung von Verkehrsträgern oder zum Beispiel die Prognostik von Ver­kehrsstaus durch KI-Anwendungen. Die schnelle Weiterentwicklung etablierter Verkehrssysteme durch den lückenlosen Einsatz von E-Mobilität oder aber die Weiterentwicklung synthetischer Kraftstoffe verlangt dezidiert nach digitaler Steuerung und Unterstützung. In vielen Regionen Deutschlands sind die Akteure engagiert da­bei, die Möglichkeiten für einen nachhaltigen Urlaub unter dem Aspekt umweltfreundlicher Mobilität konsequent auszubauen. Dazu zählen digitale Leitsysteme für unser Rad- und Wanderwegenetz oder Apps, die Touristen bei Outdooraktivitäten unter­stützen. Diese können vom ständig aktualisierten Kartenmaterial über die Routenführung und Besuchersteuerung bis zu Hinweisen auf besonders sensible Regionen den achtsamen Umgang mit der Natur befördern. Dazu zählt auch der bedarfsgerechte Ausbau der Infrastruktur für E-Bikes in Urlaubsregionen und deren Einbezie­hung in das Kapazitätsmanagement erneuerbarer Energien. Gute Ansätze sind vorhanden: So engagiert sich zum Beispiel der „Ver­ein zur Digitalisierung der Regeln für die Nutzung der Natur“ unter dem Label ‚Digitize the Planet‘ für digitale Navigationssysteme. Die Vernetzung nachhaltiger Mobili­tätsangebote in der Open Data-Stra­tegie der deutschen Tourismuswirt­schaft, die von der DZT koordiniert wird, ist ein wesentlicher Schritt – auch mit Blick auf zukünftige Infor­mations- und Navigationssysteme, die von Touristen genutzt werden. Im Deutschland-Incoming kom­munizieren wir die fortschreitende Optimierung unseres Mobilitätssystems, beispielsweise die Re­gulierung von Verkehrsströmen mit KI-gestützten Anwendungen, umweltfreundliche Verkehrsmittel, den Ausbau der Elektromobili­tät oder digitale Elemente der touristischen Infrastruktur als Qua­litätsmerkmal des Reiselandes Deutschland.

 

2. Der Know-how-Transfer durch direkten Austausch und Networking bleibt unverzichtbar. Digitale Tools entwickeln die Branche aber nachhaltig weiter.

Die Reisebeschränkungen im Covid 19-Lockdown haben zu ei­ner rasanten Beschleunigung beim Einsatz digitaler Kommunika­tionskanäle geführt. Skype, Zoom, Teams und Co. sicherten den Austausch zwischen Unternehmen über Ländergrenzen hinweg auch in der Krise. Gleichzeitig werden unter Nachhaltigkeitsas­pekten bestimmte Grenzen rein digitaler Veranstaltungsformen deutlich. Denn trotz der möglichen schnellen Vernetzung im vir­tuellen Raum ist das Bedürfnis nach persönlichen Begegnungen ungebrochen. Für deliberative Foren, die vom schnellen Aus­tausch der Wortmeldungen leben, bleiben Präsenzveranstaltun­gen auch künftig unverzichtbar. Ein vielversprechender Lösungsansatz, mit digitalen Elementen Nachhaltigkeitseffekte zu erzielen, liegt in Hybrid-Events, bei­spielsweise für wissenschaftliche Konferenzen. So werden sich im „New Normal“ post Corona reale Veranstaltungsformate etab­lieren, die mit digitalen Ergänzungen deutlich mehr Reichweite für die Community und deren Inhalte erzielen. Mit solchen hybriden Konferenzformaten werden zudem positive sozioökonomische Effekte von Geschäftsreisen in den Destina­tionen gewahrt. Zum nachhaltigen Denken und Handeln gehört schließlich auch die soziale Verantwortung für Arbeitsplätze in der Hotellerie und Gastronomie, in Veranstaltungsstätten, bei Even­tagenturen und Cateringunternehmen. Die Lockdown-Phasen der vergangenen anderthalb Jahre haben deutlich gemacht, welche wirtschaftlichen Folgen es hat, wenn Geschäftsreisen, Messen und Kongresse komplett in den virtuellen Raum abwan­dern. Hier gilt es, mit viel Verantwortungsbewusstsein eine sozialverträgliche Balance aus digitaler Reichweite und lokalem Engage­ment abzuwägen. Entsprechende Trends zeichnen sich bereits ab: Nach Einschät­zung der Experten im Meeting-und Eventbarometer 2021 von DZT, GCB und EVVC wird sich die Nachfrage nach physischen Events post Corona zumindest teilweise erholen. Die Zahl der Teilnehmer an Präsenzveranstaltungen kann demnach bis 2022 wieder 75 Prozent des Vorkrisenniveaus er­reichen. Die Lücke zwischen den Veranstaltungsformen schließen Hybrid-Events, die sich laut Meeting- und Eventbarometer 2021 im kommenden Jahr 16 Prozent über dem Vorkrisenniveau stabi­lisieren. Daraus ergeben sich starke Chancen an der Schnittstelle von Meeting- und Eventbranche und Hotellerie. Wo Tagungshotels bisher in erster Linie Räumlichkeiten vermarktet haben, sind erwei­terte Skills gefragt, und es etablieren sich verstärkt Berufsbilder wie „VR-Konferenz-Management“.

 

3. Nachhaltiger Tourismus kann sich dort entwickeln, wo digitale Infrastruktur vor Ort das Besucheraufkommen der bereisten POIs steuert. Digitale Technologien können helfen, „Overtourism“ zu vermeiden und Akzeptanz für Tourismus zu erhalten.

Im Jahr vor Beginn der Covid 19-Pandemie avancierte „Overtourism“ zu einem der meistgebrauchten Schlagworte der Branche. Die Pan­demie bedeutete für viele POIs im internationalen Tourismus nicht nur eine Zwangspause, sondern hat auch innovativen Lösungsan­sätzen neue Impulse gegeben. So helfen KI-gestützte Technologien entlang der gesamten Wertschöpfungskette, Besucherströme zu lenken – von der Empfehlung auf Online Travel-Plattformen über Re­servierungssysteme bis zu Abstandskonzepten vor Ort. Das heißt, Algorithmen verfügen nicht nur über Bewegungsdaten potenzieller Gäste, sondern auch über POIs und deren Zugang. Branchenbekannt sind bereits Best Practices wie die digitalen Be­sucherampeln an den Küsten Schleswig-Holsteins oder die „Frei­zeitampel“ in Baden-Württemberg. Auch hier ergeben sich künf­tig weitere Anwendungsmöglichkeiten über offene Datensätze. So können digitale Parkleitsysteme oder die aktive Empfehlung intermodaler Mobilität mit Park & Ride, optimierte Sightseeing- Touren oder Alternativangebote dem Gast direkt über Navigati­onssysteme zugespielt werden. Verkehrsentzerrung, Stauvermei­dung sowie eine höhere Erlebnisqualität entlasten durch digitale Tools nachhaltig Reisende und die lokale Bevölkerung.

 

4. Sharing Economy und Plattformen haben bereits eine neue Arbeitsteilung in der Tourismusindustrie geschaffen. Sustainable Supply Chain Management wird wichtiger.

Die noch junge Disziplin des Sustainable Supply Chain Manage­ment (SSCM) kennt nicht nur den Kunden und bedient seine Bedürfnisse, sie integriert auch die soziale Verantwortung für die angebotenen Produkte, beispielsweise in der Produktpalette von Online Travel Companies (OTC). In der Präferenz der Ver­triebskanäle von DMOs und Leistungsträgern wird der Nachweis einer SSCM durch die OTC auch zum Qualitätsmerkmal, zum Verkaufsargument und zum Wettbewerbsfaktor. Darin spiegelt sich auch die Transformation von Destination Marketing Organi­sationen zu Destination Management Organisationen, die in der Corona-Krise deutlich an Dynamik gewonnen hat. Die Implementierung digitaler Prozesse und Technologien in ein SSCM erschließt unendliche Möglichkeiten. Die Digitalisierung und die damit einhergehende Vernetzung auf Basis vereinbarter Standards werden ein wichtiges Element für Destinationen und Leistungsträger auf dem Weg zu einer langfristig nachhaltig aus­gerichteten Entwicklung.

 

5. Corona hat die Sensibilität für das Nachhaltigkeitsthema verstärkt. Das gilt auch für die Frage, wie nachhaltig digitale Tools selbst sind. Die angestrebte Balance aus Ökonomie, Ökologie und sozialer Verantwortung gilt auch für die digitale Transformation.

Auch digitale Ökosysteme beanspruchen Ressourcen, seien es seltene Erden für die Herstellung von Hardware oder der energieintensive Betrieb von Serverlandschaften oder die vielfach multiplizierten Anwendungsvorgänge in der Block Chain-Technologie. Nachhaltigkeit wird künftig auch zum Wettbewerbsfaktor für Digitalunternehmen. Schon heute sehen sich manche digitalen Plattformen wachsender öffentlicher Kritik ausgesetzt wegen ex­zessiver Stromnutzung, Arbeitsbedingungen für Mitarbeiter oder der Auswirkungen auf den Einzelhandel, vor allem in den Innen­städten. Gleichzeitig können Digitalunternehmen mit neuen Geschäftsmo­dellen zu äußerst wirksamen Impulsgebern eines „analogen“ Tou­rismus werden, der die Nachfrage nach Restaurants und Hotelzimmern belebt. So hat Amazon im Lockdown mit dem Service „Explorer“, aber auch Destinationen und Locations äußerst erfolgreich virtuelle Stadtführungen lanciert. Man kann sie gut als „Appetizer“ verste­hen, der potenzielle Gäste inspiriert, ihr Traumziel ganz real und noch viel facettenreicher zu erleben. Ähnliches gilt für bezahlte Streaming-Dienste, die mit der Live-Übertragung von Konzerten über das Internet wesentlich größere Reichweiten erzielen – und damit höhere Einnahmen generieren als mit der eigentlichen Präsenzveranstaltung vor Ort. Tourismusanbieter können über solche Events Aufmerksamkeit für ihre Destination gewinnen, die post Corona zusätzliche Gäste bringt.

 

Über die Autorin: 

Petra Hedorfer stieg 1998 als Marketingleiterin weltweit bei der DZT in Frankfurt ein. Seit 2003 ist sie Vorsitzen­de des Vorstandes und hat die Auslandsmarketingorganisation des Reiselandes Deutschland seither kontinuierlich auch zu einer weltweiten Vertriebsorganisation weiterentwickelt und dabei früh aufs Digitale in all seinen Facetten gesetzt. Über die Jahre wurde sie für ihre Arbeit vielfach ausgezeichnet, unter anderem nahm der Travel Industry Club die Diplom-Kauffrau 2017 in die „Travel Hall of Fame” auf.

 

 

Dieser Artikel ist im neuen TN-Deutschland Magazin erschienen. Das ganze TN-Deutschland Nachhaltigkeits-Magazin zum Nachlesen gibt es HIER