Benjamin Gottstein, Berater und Netzwerkpartner bei Tourismuszukunft

Ein Gespräch über das 13. Tourismuscamp in Treuchtlingen, den Round Table zum Thema Open Data sowie die Stärken und Schwächen des Barcamp-Formats.

Foto-Credit: Greg Snell

Herr Gottstein, das 13. Tourismuscamp fand dieses Jahr in Treuchtlingen statt. Wie war das Feedback der Teilnehmer?

Die Rückmeldungen waren sehr positiv. Wir sind ein Stück weit zu unseren Barcamp-Wurzeln zurückgekehrt. Die ersten zehn Jahre war das Tourismuscamp ja ebenfalls an einer Universität, in Eichstätt und dann zur zehnten Ausgabe in Wilhelmshaven. Dieses Jahr wieder an einen Campus zurückzukommen, war für viele, die schon oft dabei waren, back to the roots. Der Jury ging es bei der Wahl allerdings nicht um Nostalgie, sondern um den passenden, offenen und kreativen Rahmen. Die Stimmung war dementsprechend sehr produktiv, gelassen und ungezwungen. St. Peter-Ording im vergangenen Jahr war natürlich vom Komfort und der Gastronomie her eine ganze andere Nummer; wirkte dadurch aber mehr als eine klassische Tagung und nicht als Barcamp. In Treuchtlingen gab es mittags nur Spaghetti Bolognese – und alle waren trotzdem happy, was uns in der Feedbackrunde gespiegelt wurde.

Am Freitag bildete der Round Table Open Data den Auftakt. Statt der geplant maximal 45 Teilnehmer kamen rund 80. Das Thema nimmt gerade richtig Fahrt auf, oder?

In jedem Fall. Hier passiert gerade richtig viel in der Umsetzung. Open Data ist im Tourismus angekommen. Mehrere öffentlich finanzierte Open Data-Projekte wurden realisiert (z.B. Open Data Hub Südtirol, Open Data Zürich Tourismus) oder sind gerade in der Umsetzung (Open Data Germany-Projekt der DZT mit den LMOs in Deutschland). Auch privatwirtschaftliche Akteure bzw. technische Umsetzer nehmen das Thema auf und realisieren technische Lösungen, die den Zugang zu offenen Daten schaffen (z.B. open.destination.one von unserem Hauptsponsor neusta destination solutions). Die Vorträge der Akteure beim Round Table haben offensichtlich gezeigt: Open Data und strukturierte Daten sind kein technisches Problem mehr; hier haben die Unternehmen in den letzten Jahren Gas gegeben. Umso mehr rücken die touristischen Akteure selbst in den Fokus. Es ist an der Zeit die Daten zu öffnen, mit den jeweiligen CC-Lizenzen auszustatten oder neue Daten richtig zu produzieren. In Folge wird das auch der letzte Round Table zum Thema Open Data gewesen sein: die Zeit des Redens ist vorbei, jetzt heißt es machen.

Das diesjährige Tourismuscamp war inhaltlich sehr abwechslungsreich. Welche Sessions sind Ihnen in Erinnerung geblieben – und warum?

Im Fokus war neben zahlreichen Sessions zu digitalen Herausforderungen das Thema Nachhaltigkeit. Hier erleben wir bei den Touristikern ein zunehmendes Bewusstsein inklusive der tatsächlichen Bereitschaft, Dinge zu verändern. Zum Beispiel wurde diskutiert, welche neuen KPIs im Zeitalter der Klimakrise denkbar und sinnvoll wären. Oder wie sanfte Mobilität im Tourismus aussehen kann – und wie man diese fördern könnte. Die Überlegungen der Verantwortlichen, wirklich etwas zu tun, sind heute viel konkreter als noch vor ein, zwei oder drei Jahren. Dass wir gleich zu Beginn des Camps einen Scheck in Höhe von 5.512 Euro an den Verein „Primaklima“ für das Pflanzen von Bäumen überreichen konnten, zeigt unsere Haltung und unser Handeln sehr schön.

Was gab es noch für Sessions?

Spannend waren der Digitale Trend Slam von Michael Faber oder auch die Social Media-Diskussion, die ich selbst geleitet habe. Was ich gerade bei den Sessions mit digitalem Aspekt interessant fand, war, dass immer mehr Menschen in unserer Branche die Technologie an sich kritisch hinterfragen. So wurde die Frage nach einem digitalen Humanismus diskutiert. Wo steht der Mensch als Individuum und als Teil einer Gruppe hierbei eigentlich? Ist er Nutznießer oder nur Datenlieferant für Algorithmen? Der Mensch rückt also zunehmend ins Bewusstsein. Dazu passte auch sehr gut die Fuck-up-Session, in der es um individuelle Geschichten vom Scheitern und eigene Werte ging. Einige Teilnehmer haben auch sehr schöne Zusammenfassungen des Tourismuscamps aus ihrer Perspektive verfasst. In unserem Blog haben wir sie alle verlinkt. Lesenswert!

Die Diskussionen auf Barcamps verlaufen nicht immer ergebnisorientiert, ist das eine Stärke oder Schwäche des Formats?

Es braucht auch nicht immer sofort Ergebnisse. Viel wichtiger ist, dass Dinge angestoßen werden und ohne ein vorher festgelegtes Agenda-Setting offen diskutiert werden kann – so sind wir immer am Puls der Zeit. Das ist die große Stärke eines Barcamps. Und dafür bieten wir seit 13 Jahren den passenden Rahmen. Aber, und das muss ich klar sagen: Es sind dieses Jahr viele konkrete Lösungsansätze und Ideen im Großen wie im Kleinen entstanden, in den Sessions und während der Pausen. Jeder nimmt von einem Barcamp das mit, was für ihn wichtig ist. Und das kann eben sehr unterschiedlich sein.

Dieses Jahr folgen mit eurer Unterstützung eine Reihe weiterer spannender Camps, welche sind das?

Da ist sicher zu aller erst unser zweites Barcamp, das Hotelcamp, zu nennen, das wir als Co-Veranstalter in Zusammenarbeit mit der HSMA Deutschland vom 12.-14.11.2020 zum zwölften Mal organisieren. Zudem moderieren wir im Auftrag noch das Hotelcamps Alps (9. -21. April 2020 in Großarl) und zahlreiche regionale und interne Barcamps. Wir sind Barcamp-Fans, deshalb gehen wir auch zu anderen, die wir nicht selbst organisieren. Man trifft uns beispielsweise beim Barcamp Tourismusnetzwerk Rheinland-Pfalz oder beim Castlecamp in Kaprun. Überall wird es spannende Diskussionen geben. Überall werden die Teilnehmer genau die Themen mitbringen, die sie gerade beschäftigen, passend zur Region, ihren Bedürfnissen und Produkten.

Haben für 2021 schon Regionen Ihren Hut für die Ausrichtung in den Ring geworfen?

Ja, es gibt schon Interessenten. Aber offiziell geht es erst zur ITB wieder los mit dem Bewerbungsverfahren. Alle Infos zum Ablauf geben wir dann über die branchenrelevanten Kanäle bekannt. Jede Region hat erst die gleiche Chance, nichts ist entschieden. Sprecht uns gerne schon an.

Bleibt es also dabei, dass eine Jury über den Austragungsort entscheidet?

Ja, die Jury war eine großartige Idee, wir vertrauen auch 2021 auf unsere Jury. Alle Jurymitglieder sind erfahrene Barcamper und wissen, worauf es bei diesem Format ankommt. Und das ist eben nicht nur die Anzahl der Klicks im Online-Voting, wo Regionen mit einer großen Community einen viel größeren Hebel als kleinere DMO haben; sondern echte Begeisterung für das Camp: das haben wir in Treuchtlingen bei unseren Gastgebern erlebt. Zudem steigert dieses Verfahren die Identifikation der Teilnehmer für das Camp. Das Tourismuscamp ist nicht unser Camp, sondern das Camp der Tourismuscamper. Und durch die Jury mehr denn je.