Prof. Harald Zeiss, TUI Umweltmanager und Professor für Tourismusmanagement und Betriebswirtschaft an der Hochschule Harz

Ein Gespräch über die Nachhaltigkeit der deutschen Touristik, die Rolle der Reisebüros dabei und die Zeit, die der Menschheit davonrennt.

2016-23-11-18-08-43

 

Auf einer Skala von 1 – 10 (10 = sehr gut): Wie nachhaltig ist die deutsche Touristik?

Das ist schwer zu beurteilen beziehungsweise aufgrund der Komplexität nicht absolut messbar.

 

Was genau ist eigentlich eine nachhaltige Reise?

Eine nachhaltige Reise hat einen verantwortungsvollen Ressourcenverbrauch, der es auch künftigen Generationen ermöglicht, Reisen zu können. Ressourcen können fossile Brennstoffe, Wasser, Rohstoffe und vieles mehr sein. Darüber hinaus wird auf die Belange und Interessen der lokalen Bevölkerung Rücksicht genommen und diese in die touristische Entwicklung integriert.

 

Was muss geschehen, um die Angebote insgesamt nachhaltiger zu gestalten. Und warum fällt dies der Branche in Teilen noch so schwer? 

Nachhaltigkeit ist sehr komplex. Zum einen weil sowohl Natur, Menschen als auch Rohstoffe berücksichtigt werden müssen, zum anderen, weil die Bewertung der Vor- und Nachteile extrem schwerfällt. Ist ein Hotel, das regenerative Energie verwendet besser oder schlechter als ein Hotel, das seinen Mitarbeitern höhere Löhne zahlt?

 

Der DRV hat das Thema Green Counter ins Leben gerufen. Kommt diese Initiative nicht mindestens zehn Jahre zu spät? 

Initiativen wie der Green Counter helfen uns, unsere ambitionierten Ziele im Rahmen der TUI Nachhaltigkeitsstrategie umzusetzen, denn am Counter findet das Thema leider weiterhin viel zu wenig Beachtung.

 

Es gibt Veranstalter, die werben mit nachhaltigen Reisen. Wie nachhaltig kann ein Massenanbieter wie TUI sein? 

Die grundsätzliche Frage ist, wie nachhaltig man Reisen gestalten kann. Ein Anbieter wie die TUI mit 30 Millionen Gästen im Jahr hat hier im Vergleich zu kleinen Spezialreiseveranstalter einen enormen Hebel. Im Rahmen unserer Nachhaltigkeitsstrategie „Better holidays, better world“ wollen wir bis 2020 zehn Prozent CO2 einsparen, zehn Millionen grünere und fairere Reisen verkaufen und zehn Millionen Euro in nachhaltige Projekte investieren. Das ist in absoluten Zahlen eine enorme Leistung.

 

Aber schließen sich für die Börse angestrebte Gewinnmaximierung und nachhaltige Angebote nicht gegenseitig aus? 

Nein, im Gegenteil. Denn Nachhaltigkeit muss nicht teurer sein und die Börse ist teilweise verantwortungsvoller als der Konsument. TUI ist beispielsweise im Nachhaltigkeits-Indice DOW Jones Sustainability als einziger touristischer Konzern weltweit vertreten. Und die Analysten erwarten das auch.

 

Wie nachhaltig ist Deutschland als Reiseland im Vergleich zu anderen Zielgebieten? 

Das kann man pauschal nicht beantworten. Deutschland ist als Reiseland weder auf Platz eins noch zählt es zu den Schlusslichtern. Vermutlich liegen wir unter den Top 20.

 

Viele meinen, dass die Welt auf eine Klimakatastrophe zusteuert, dass uns am Ende wohl nur eine Art „Klimadiktatur“ retten wird. Dann wird es die Touristik in ihrer heutigen Form nicht mehr geben, richtig?

Mein Eindruck ist, dass der Menschheit die Zeit davonläuft. Die klimabedingten Veränderungen in der Umwelt, also das Schmelzen der Polkappen, die Abholzung der Urwälder, die Versauerung der Meere und der Abbau der Rohstoffe sind deutlich schneller als Effizienzgewinne – und letztendlich auch als das Konsumverhalten. Um dem entgegenzuwirken, müssen sich so gut wie alle Branchen deutlich verändern, auch die Touristik. Als Marktführer versuchen wir mit unserer Nachhaltigkeitsstrategie voranzugehen.