ON THE ROAD. AGAIN.

Ferienstraßen gehören zu den Klassikern des Deutschlandtourismus. Die bekannten sind sogar internationale Marken. Die Corona-Krise eröffnet ihnen ganz neue Chancen, weil das Entzerren der Reise dem Produkt immanent ist.

Deutsche Alpenstraße/Kern

Der Deutsche Tourismusverband (DTV) spricht Klartext. In der Präambel seiner „Qualitätskriterien für deutsche Ferienstraßen“ stellt er mit unverhohlener Kritik fest: „Es gibt derzeit eine nicht quantifizierbare Anzahl touristischer Routen in Deutschland, wobei es nur wenige ins Bewusstsein der Öffentlichkeit geschafft haben.“ Auf „ungefähr 120 bis 180“ schätzt Iris Hegemann vom DTV die Zahl der Ferienstraßen im Lande, „aber höchstens ein Drittel von ihnen ist wirklich aktiv“. Der Rest sind Relikte aus der Vergangenheit, gegründet im Boom der Siebziger- und der Neunzigerjahre, als noch die neuen Bundesländer dazukamen.

Die meisten dieser Themenrouten hatten kein nachhaltiges Konzept, keine Geschäftsstelle und kein Marketing. Ihre Schilder gammeln heute als vergessene Wegmarken vor sich hin. Dabei sind gute Ferienstraßen ein Erfolgsmodell. Zugpferde des nationalen und internationalen Tourismus, Themengeber für die Medien, die daraus Geschichten machen wie „Mit dem Oldtimer über die Burgenstraße“ oder „Motorradreise auf der Deutschen Alpenstraße“. Die Japaner haben bei sich zu Hause sogar eine Kopie der „Romantischen Straße“ errichtet, das Original gehört zum Pflichtprogramm einer jeden Deutschlandreise.

Jürgen Wünschenmeyer war als Teenager erstmals auf der „Romantischen Straße“ unterwegs. Busgruppen hat er damals begleitet, als Reiseleiter klapperte er mit der „Deutschen Touring“ die wichtigsten Ziele zwischen Würzburg und Füssen ab. Seit 20 Jahren ist er Geschäftsführer der 460 Kilometer langen Themenroute, die den Norden Bayerns mit dem Süden verbindet, mit einem kleinen Abstecher ins baden-württembergische Taubertal. Die „Romantische Straße“ ist eine weltweite Marke, bekannt von Japan bis nach Brasilien, ihre Prospekte erscheinen in zehn Sprachen. Das ist an sich eine gute Nachricht, in Corona-Zeiten jedoch auch ein Problem: „Das internationale Geschäft für 2020 ist gelaufen,“ sagt Wünschenmeyer. Dafür sieht er neue Chancen auf dem inländischen Markt: „Es könnte eine Renaissance bei deutschen Gästen geben, die eigentlich etwas anderes vorhatten.”

Da ist es gut, dass die „Romantische Straße“ mehr zu bieten hat als nur doppelspurigen Asphalt. Bereits seit den 1980er-Jahren wird sie von einem Radweg begleitet, 2006 wurde ein dazu passender Weitwanderweg eröffnet. Zugeständnisse an einen Markt, der nicht nur Kultur, sondern auch Natur verlangt. Mit Menschen, die sich auch bewegen wollen und nicht nur im Auto sitzen.

Romantische Straße

Die Weiterentwicklung ist eine Grundvoraussetzung, wenn man als Ferienstraße am Markt bleiben will. So gehört zu den sechs Quali-tätskriterien des DTV neben einer durchgängigen Streckenbeschilderung auch das Vorhandensein einer Geschäftsstelle und eines nachhaltigen Tourismuskonzepts.
Die „Deutsche Alpenstraße“ wird deshalb seit 2015 einheitlich unter dem Dach des Vereins „Bayerische Fernwege“ vermarktet. Träger sind die Tourismusverbände Oberbayern München und Allgäu/Bayerisch-Schwaben. Es gibt eine Geschäftsstelle in Miesbach, die zugleich auch für den „Bodensee-Königssee-Rad-weg“ zuständig ist. Es war ein Coup, die bekannte Fernradstrecke unter das gleiche Dach zu bekommen und damit ein passendes Radwegebegleitprogramm für die Hauptroute zu haben. 1927 gegründet, gilt die Alpenstraße als älteste aller Ferienstraßen in Deutschland. Sie verläuft von Lindau bis zum Königssee, 450 malerische Kilometer, die die schönsten Alpenstrecken in Ost-West-Richtung verbinden. „Komplett mautfrei und für alle Fahrzeugtypen geeignet,“ wie Projektleiter Franz Reil betont. Auch Busse und Wohnmobile kommen überall durch, ein Segen in Zeiten, in denen der Caravan-Tourismus immer wichtiger wird. Das jüngste Vorhaben ist ein E-Mobilitätskonzept für die Alpenstraße, ein ambitioniertes Unterfangen für den ländlichen Raum, der damit zukunftsfähig gemacht werden soll.

Alpenstraße / Ralf Gerard

Den ländlichen Raum mag auch Ariane Born, Geschäftsführerin der Burgenstraße, ganz gerne. Seit sage und schreibe 35 Jahren ist Ariane Born für die Burgenstraße tätig, mit Geschäftsstelle in Heilbronn. Sie kennt all ihre Höhen und Tiefen, den permanenten Kampf um Aufmerksamkeit und um die Kooperationsbereitschaft der örtlichen Partner. Ziehen die nicht mit, nützen sämtliche Marketingbemühungen nichts.
Die stillen Ziele zwischen den großen Attraktionen: Im Verbund einer Ferienstraße werden sie bekannt gemacht und entdeckt. Gerade jetzt in Corona-Zeiten. 1954 wurde die Burgenstraße gegründet. Sie ging von Mannheim bis Nürnberg, eine Arbeitsgemeinschaft von historischen Orten und Adelssitzen, die ihre Gemäuer fürs breite Publikum öffneten. Anfangs brachten auch hier Linienbusse der Deutschen Touring die Gäste von Schloss zu Schloss. Vor allem Amerikaner liebten das Erlebnis von „good old Germany“. Die Amerikaner verschwanden und der Linienbus auch, stattdessen entdeckten nun Individualreisende die Burgenstrecke für sich. „Oldtimerbesitzer sind eine wichtige Zielgruppe für uns,“ sagt Ariane Born, die mit ihrer Burgenstraße deswegen auch ganz gezielt Messen für Vintage-Fahrzeuge besucht. In Schlosshotels und kleinen Häusern fühlen sich deren Besitzer gut aufgehoben, insbesondere wenn sie über eine Garage oder einen Innenhof verfügen. Die Burgenstraße versorgt sie mit passenden Informationen und Tourentipps.

Burg Hornberg

1994 wurde die Strecke bis Prag verlängert, eine Erweiterung im Geiste des neuen Europas, die nicht von Erfolg gekrönt war: „Es hat nicht gepasst, die Partner wechselten ständig und auf die Informationen konnte man sich nicht verlassen“, so Born. Also endet die Burgenstraße heute wieder in Franken.
Bayreuth ist ihr aktuelles Ziel, 770 Kilometer ihre Gesamtstrecke. Genug Platz für einen entspannten Tourismus abseits der großen Ziele. Wer in Corona-Zeiten Menschenmengen meiden will, muss nur zwischendrin Station machen. Eine individuelle und entzerrte Form des Reisens. „Langsam und alleine, das war schon immer unserer Stärke“, sagt Born. Vor einigen Jahren hat sie damit begonnen, regionale Mitgliederversammlungen zu machen. Eine Veranstaltung war dabei dem Thema „Wohnmobil“ gewidmet, eine Reiseform, die unter Corona-Bedingungen immer wichtiger wird. Die Schaffung von Stellplätzen und die Information darüber kann zum Wettbewerbsvorteil werden, die Nachfrage nach entsprechenden Prospekten ist derzeit groß.

Südliche Weinstraße / Dominik Ketz

Auch Nina Ziegler von der Deutschen Weinstraße registriert den sprunghaften Anstieg der Camper. „Die Deutschen gehen derzeit nicht über die Grenze“, sagt die Geschäftsführerin des Vereins Südliche Weinstraße Landau-Land. Eine Chance in Corona-Zeiten, mit Individualgästen in den Weingütern entlang der Route neue Kunden zu gewinnen, obwohl die Vielzahl der Festivitäten in den Weinorten erst mal eingestellt ist.

Die Deutsche Weinstraße, die übrigens komplett in der Pfalz liegt und nur 85 Kilometer lang ist, zählt zu den bekanntesten Ferienrouten in Deutschland. So bekannt, dass sich auch die einheimische Bevölkerung mit dem Begriff hundertprozentig identifiziert. Mehrere Landkreise wurden nach ihr umbenannt (SÜW: Südliche Weinstraße, DÜW: Dürkheim Weinstraße), Städte wie Neustadt an der Weinstraße führen sie als Beinamen. Fast alle Ortsdurchfahrten entlang der Strecke heißen schlicht „Weinstraße“, mit dem Deutschen Weintor in Schweigen hat die 1935 gegründete Ferienstraße sogar ein eigenes Bauwerk bekommen, später kam noch das „Haus der Deutschen Weinstraße“ an ihrem Nordende dazu.
Das kompensiert ein Stück weit die Tatsache, dass es keinen Dachverband und keine eigene Geschäftsstelle gibt. Doch die lokalen Tourismusorganisationen können gar nicht anders als die Weinstraße als Ganzes zu vermarkten. Ihre Breitenwirkung ist größer als die jeder regionalen Untermarke, und so gibt es längst eine gemeinsame Webseite, ein jährliches Magazin „Weinland Pfalz“ und ein gemeinsames Gastgeberverzeichnis.
„Der Name ist sehr stark verankert“, sagt Nina Ziegler, die im Bereich der südlichen Weinstraße für die Tourismuswerbung zuständig ist. „Viele Orte werden unter dem Begriff Weinstraße vermarktet, obwohl sie gar nicht an der Weinstraße liegen“. Ein touristischer Nebeneffekt, der typisch ist für gut positionierte Ferienstraßen.

„Die guten sind Leuchttürme des Deutschland-Tourismus“, meint auch Iris Hegemann vom DTV, „ihre Webseiten stehen bei den Nutzern weit oben.“ Die Breitenwirkung ist auch das, was Svenja Hartweck von der Tourismus Marketing GmbH Baden-Württemberg (TMBW) an den Ferienstraßen besonders schätzt. „Sie sind ein ideales Vehikel für das Themen-Marketing mit vielen unterschiedlichen Ansätzen“, sagt sie. Auch in Baden-Württemberg gibt es Weinstraßen, eine für die Badener und eine für die Württemberger mit allerlei Anekdoten und Einkehrmöglichkeiten am Wegesrand. Beide werden von Radwegen begleitet, der auf der badischen Seite wurde erst vor wenigen Wochen eröffnet. Ein guter Zeitpunkt angesichts der Tatsache, dass derzeit die Menschen so viel Fahrrad fahren wie nie zuvor.

Schwarzwaldhochstraße

Einen hohen Bekanntheitsgrad hat auch die Schwarzwaldhochstraße, mit der einst die Höhenhotels zwischen Baden-Baden und Freudenstadt verbunden wurden. Eine Panoramaroute, die bis heute bei Auto- und Motorradfahrern ausgesprochen beliebt ist.
Verträumt und abgelegen hingegen die Oberschwäbische Barockstraße, die eine Vielzahl kleiner Kirchen und Schlösser bündelt, deren Name man als Reisender nicht selten zum ersten Mal gehört hat. Die TMBW hat vor ein paar Jahren sogar eine eigene Ferienroute kreiert, die „Fantastische Straße“. Die ist zwar nicht beschildert, „aber auf dem asiatischen Markt ein großer Erfolg, weil sie viele wichtige Ziele zusammenfasst“, wie Svenja Hartweck sagt. Erlaubt ist, was gefällt, und da sind der Fantasie auch bei den Ferienstraßen keine Grenzen gesetzt.

Inzwischen gibt es zahlreiche Initiativen, die gut am Markt positionierten Ferienstraßen miteinander zu vernetzen. Seit 2018 lädt der Deutsche Tourismusverband zu Jahrestagungen ein. Etwa genauso lange ist Klaus-Peter Hausberg unterwegs, um in Kooperation mit DTV und ADAC ein Netz attraktiver Touristikrouten zu erarbeiten. Der freiberufliche Marketingberater digitalisiert viele der bekannten Strecken und fährt sie mit seinem Wohnmobil minutiös ab. „Ich bin begeistert, wie viele schöne Strecken es bei uns gibt,“ sagt Hausberg. Erst kürzlich hat ihn eine Anfrage eines Berliner Reiseveranstalters erreicht, der eigentlich international tätig ist, in Corona-Zeiten aber nach buchbaren Pauschalen in Deutschland Ausschau hält – zum Beispiel entlang der Ferienstraßen. „Sie sind eine wunderbare Inspiration“, sagt Hausberg, „ich glaube, dass wir hierzulande eine neue Blüte erleben werden.“ Grund genug, dem Thema etwas mehr auf den Grund zu gehen.

Es fehlt bei den Ferienstraßen allerdings an genauen Erhebungen und verlässlichen Zahlen. Eine Untersuchung im Rahmen der alljährlichen F.U.R-Reiseanalyse könnte sich Iris Hegemann vom DTV daher zum Beispiel vorstellen. „Sie müsste halt jemand in Auftrag geben und bezahlen.“ Vielleicht gibt es ja eines Tages doch sogar noch einen Verband deutscher Ferienstraßen, der die Frage klären kann, wie viele es von ihnen tatsächlich nun gibt in Deutschland.

 

Über den Autor:
Andreas Steidel aus Calw im Schwarzwald ist freier Reise- und Fachjournalist mit dem Schwerpunkt Deutschland, viele Jahre hat er den Reiseteil einer Wochenzeitung geleitet. Er ist Mitglied der Vereinigung Deutscher Reisejournalisten (VDRJ) und Autor mehrerer Bücher.