Norbert Fiebig, Präsident DRV Deutscher ReiseVerband e. V.

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Die Tourismuswirtschaft hat Pandemie-bedingt eine lange Durststrecke hinter sich. Zwar geht es jetzt wieder aufwärts, doch haben viele Reisebüros und Veranstalter die Krise nicht überlebt. Haben Sie inzwischen Zahlen?

Die Corona-Krise hat die Reisewirtschaft wirklich brutal getroffen. Konkrete Zahlen darüber, wie viele Unternehmen nicht durch die Krise gekommen sind, liegen uns allerdings nicht vor. Die befürchtete große Insolvenzwelle ist zum Glück ausgeblieben. Insgesamt gab es im vergangenen Jahr sogar weniger Insolvenzen als in den Vor-Corona-Jahren. Hier haben die politischen Unterstützungsleistungen wie Überbrückungshilfen, KfW-Kredite, Kurzarbeitergeld und so weiter, für die wir als DRV in vielen, viele Gesprächen gekämpft haben, sehr geholfen. Der kommende Winter und voraussichtlich auch das kommende Frühjahr werden für die Reisewirtschaft aber noch eine große Herausforderung sein.

Flugreise-Ziele waren beim Re-Start gegenüber der Eigenanreise deutlich im Nachteil. Viele Veranstalter haben versucht, deshalb kurzfristig noch mehr Deutschland ins Programm zu nehmen, was aber schwierig war. Sollten Veranstalter Ihr Portfolio überdenken, um resilienter für künftige Krisen zu sein?  

Resilienz ist in aller Munde und natürlich müssen sich Unternehmen grundsätzlich so aufstellen, dass sie Krisen jeglicher Art möglichst gut überstehen können. Jedes Unternehmen war und ist gut beraten, die Zeit der Pandemie für notwendige Umstrukturierungen und Neuausrichtungen zu nutzen. Dazu zählt neben mehr Digitalisierung und Maßnahmen zur Prozessoptimierung natürlich auch das Produktportfolio. Während der Pandemie haben die Veranstalter fast unisono ihr Deutschland-Angebot ausgeweitet und es wurde auch nachgefragt. Nun gilt es die zukünftigen Kundenwünsche zu antizipieren und das Angebot entsprechend zu gestalten und im Vertrieb verfügbar zu machen, damit auch Reisebüros von diesem Segment stärker profitieren können. Die Themen Nachhaltigkeit und Klimaschutz werden auch hier eine zunehmend bedeutende Rolle spielen. Flexibilität, Verfügbarkeit und guter Service werden weitere Erfolgsfaktoren sein. Aber Deutschland ist traditionell ein eher selbst-organisiertes Reiseziel.

Am 1. November 2021 startet der neue Reisesicherungsfonds DRSF, Er bildet das Herzstück eines Gesetzes, mit dem das System der Insolvenzabsicherung von Pauschalreisen auf eine stabile Basis gestellt werden soll. Bis Oktober 2027 soll darin, finanziert von den Veranstaltern, ein Zielkapital von 750 Millionen Euro aufgebaut werden. Ist das angesichts der vielen Fragezeichen in der Branche zu schaffen?

Klar ist: Mit dem DRSF haben wir jetzt ein krisenfestes Absicherungssystem. Das vom Gesetzgeber vorgegebene Ziel, den Fonds bis Oktober 2027 mit einem Kapitalstock von 750 Millionen Euro aufzubauen, ist in dieser Situation, wo die Unternehmen der Reisewirtschaft mit den dramatischen Folgen der Pandemie zu kämpfen haben, sehr ambitioniert. Die Entscheidung, die Insolvenzabsicherung mit dem Reisesicherungsfonds auf neue Füße zu stellen, ist jedoch grundsätzlich eine gute Entscheidung des Gesetzgebers. Die Pauschalreise ist damit der Verbraucherschutz sind nun umfassend sichergestellt.

Ganz allgemein gefragt: Was für Schlüsse zieht die Branche aus der Pandemie?

Die Pandemie hat an vielen Stellen wie ein Turbo gewirkt: Digitalisierung, Fachkräftemangel aber auch die verstärkte Diskussion über den Klimawandel und den Einfluss von Mobilität. Ein Weiter so wie bisher wird es nicht geben. In Um- und Neudenken sind notwendig, um den anstehenden Wandel aktiv mitzugestalten und gestärkt aus der Krise herauszukommen. In dem äußerst herausfordernden Jahr 2020 ist außerdem einmal mehr deutlich geworden, wie wichtig der Kundenkontakt gerade in einer Krise ist. Durch offene und transparente Kommunikation über Reiseveranstalter und Reisebüros wird Vertrauen geschaffen. Das hat aufgrund der schwerwiegenden Situation und der riesigen Menge an betroffenen Kunden leider nicht an allen Stellen reibungslos funktioniert. Gerade durch den engagierten, unermüdlichen Einsatz der Reisebüros konnte hier aber das meiste aufgefangen werden. Die Reisebüros waren während der Pandemie, wenn sie so wollen, die Helden der Branche. Nicht zuletzt hat sich in der Krise gezeigt, dass Flexibilität das Gebot der Stunde ist – auf Seiten der Unternehmen, in den Zielgebieten aber insbesondere auch hinsichtlich des Commitments der Kunden. Darauf hat die Branche zeitnah mit noch flexibleren Stornierungs- und Umbuchungsbedingungen reagiert. Ich glaube, das war ein guter Impuls, der den aktuellen Bedürfnissen der Kunden nach Flexibilität gerecht wird.

Die Themen Nachhaltigkeit und Klimaschutz sind mehr denn je ins gesellschaftliche Bewusstsein gerückt. Das Ende des Verbrennungsmotors scheint eingeläutet. Glauben Sie, es wird angesichts der Klimaziele der EU in 15 Jahren noch möglich sein, so wie heute in den Urlaub zu fliegen?  

Ja, ich bin davon überzeugt, dass wir auch in 15 Jahren noch in den Urlaub fliegen werden. Es wird allerdings vermutlich nicht mehr genauso sein wie heute. Wir sehen schon heute, dass sich das Kundenverhalten ändert. Die Reisewirtschaft ist Teil des Problems und wir müssen auch aktiver Teil der Lösung sein. Umweltfreundliche Mobilität muss daher oberste Priorität haben. Neue emissionsfreie Technologien müssen massiv gepusht werden. Und der Wochenend-Trip nach New York oder auch 20-Euro-Flüge werden wohl bald der Vergangenheit angehören. Als Reisewirtschaft müssen wir diese Änderungen mitgestalten, damit Reisen auch in Zukunft für viele Menschen möglich bleibt.

(28.10.21)