Martin Balas, Gesellschafter von TourCert und Consultant

Ein Gespräch über die Idee und die Gründung der Exzellenzinitiative Nachhaltige Reiseziele, die gesellschaftliche Frage der Nachhaltigkeit im Tourismus und die Entwicklung von TourCert.

Herr Balas, das Thema Nachhaltigkeit ist ein sehr aktuelles Thema durch den Weltklimagipfel, Greta und Fridays for Future. Wie bewerten Sie diesen Trend auch mit Blick auf den Tourismus?

Ich bin mir sicher, dass das Thema Nachhaltigkeit in den nächsten Jahren noch deutlich an Relevanz zunehmen wird. Wir sehen, dass das in den letzten ein- bis anderthalb Jahren auch bis in die Tourismusstrukturen vor Ort durchschlägt. Nachhaltigkeit ist kein Trend mehr, sondern eine wirklich gesellschaftliche Frage, die uns auch in Zukunft insgesamt begleiten wird. Umso wichtiger ist es, dass wir uns rechtzeitig darauf einstellen und vorbereiten.

Was kommt von diesem neuen Bewusstsein bei TourCert direkt an?

Wir merken deutlich, dass seit den Klimaschutzdiskussionen des letzten Jahres die Nachfrage nach Zertifizierungen steigt. Aber nicht nur das: Auch der Bedarf an Weiterbildungen und Trainings steigt; die Unternehmen suchen Orientierung hinsichtlich ihrer nachhaltiger Ausrichtung. Wir haben unsere zertifizierten Mitglieder in den letzten drei Jahren verdoppeln können. Es sind jetzt knapp 400 Mitglieder bei TourCert in über 30 Ländern. Wir merken aber auch, dass sich die Sichtweise von Nachhaltigkeit im Tourismus deutlich verändert, denn es wird nun öfter als Konzept verstanden, welches den Tourismus insgesamt begleitet und als neue Qualitätsdimension für alle touristischen Aktivitäten gelten kann. Es geht also bei dem Thema um Management auf höchster Ebene. Das macht uns vieles leichter, weil das Thema nicht mehr als Öko-Nische abgestempelt wird.

Was ist aus der „Exzellenzinitiative Nachhaltige Reiseziele“ geworden, die vergangenes Jahr ihrerseits mit Unterstützung des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) mit rund 40 Teilnehmern gestartet ist?

Genau, wir hatten letztes Jahr im Dezember eine erste Auftaktveranstaltung, bei der wir alle Destinationen eingeladen haben, die sich schon nachweislich im Bereich Nachhaltigkeit engagieren. Dabei ging es um Austausch und Formen der möglichen Zusammenarbeit zwischen Politik, DMOs und Unternehmen. Daraus ist die Exzellenzinitiative Nachhaltige Reiseziele entstanden, welche über das Kompetenzzentrum Tourismus des Bundes nun über das LIFT-Programm gefördert wird.  Mit der Förderung haben wir nun die Möglichkeit, ein gut strukturiertes und auf lange Frist ausgelegtes Netzwerk aufzubauen.

Wie genau ist die Idee der Exzellenzinitiative entstanden und welche Vision steckt dahinter?

Die Idee kam von DMO-Managern, deren Wunsch es ist, sich intensiver auszutauschen und eine Plattform zu finden, sich und ihre Akteure zu präsentieren – und vielleicht sogar gemeinsame Projekte anzuregen. Wir haben zudem im Rahmen der Destinationszertifizierungen gemerkt, dass die Fragen, Herausforderungen und Problematiken, mit denen sich DMOs auseinandersetzen, meist sehr ähnlich sind. Wir wollen also erreichen, dass DMOs durch den Austausch bei verschiedenen Themen in die Lage versetzt werden, nicht jedes Mal allein von vorne anfangen zu müssen. Der Name Exzellenzinitiative ist dabei bewusst gewählt. Denn wir wollen Destinationen gewinnen, die sich schon mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinandergesetzt haben. Es wird eine großangelegte Wissensdatenbank geben, wo man sich zu bestimmten Themen weiter informieren kann. Es wird Arbeitsgruppen geben, um Themen voranzubringen. Und wir werden regelmäßige Arbeitstreffen und Fachveranstaltungen organisieren, in denen auch Branchentrends, bewährte Praktiken und aktuelle Herausforderungen im Umgang mit Nachhaltigkeit diskutiert werden. Im Idealfall schaffen wir es, dass bestimmte Projekte gemeinschaftlich von verschiedenen Destinationen umgesetzt werden können. Ein anderes Thema ist, dass wir es ermöglichen wollen, bestimmte Kennzahlen und Benchmarks zu entwickeln, damit sich Regionen besser miteinander vergleichen können, um zu schauen, in welchen Feldern sie sich noch verbessern können und welchen konkreten Beitrag sie zur Erfüllung der Nachhaltigkeitsziele in Deutschland leisten. TourCert unterstützt bei allem die Organisation und Durchführung – aber grundsätzlich ist es von Anfang an eine akteursgetriebene Plattform.

Wer ist bei der Exzellenzinitiative dabei?

Das Saarland und der Nördliche Schwarzwald sind unsere Kooperationspartner im Projekt und beteiligen sich aktiv und setzen auch eigene Ressourcen dafür ein. Außerdem haben 25 weitere Destinationen ihr aktives Interesse schriftlich abgegeben. Dabei sind sowohl die lokalen und regionalen Ebenen, aber auch die LMO-Ebene und der Deutsche Tourismusverband (DTV) sind als Partner der Initiative mit an Bord.

Ist die Finanzierung mit dem Fördergeld gesichert?

Abgedeckt ist tatsächlich der Aufbau des Netzwerks und die erste Netzwerkphase. Später wird es im Rahmen der Netzwerkaktivitäten auch eine Eigenbeteiligung geben, mit der sich die Netzwerkstruktur langfristig finanzieren kann. Hier sind wir gerade in der Überlegung, wie wir das am besten umsetzen. Es wird sicher kein großer Betrag sein, sondern eher eine Art Mitgliedsbeitrag.

Was plant TourCert sonst noch für die Zukunft?

Wir planen und machen gerade sehr viel (lacht). Dadurch, dass wir internationaler werden, führen wir aktuell viele Partnerschaftsprojekte in Lateinamerika und Ostafrika durch. Zudem arbeiten wir mit weiteren Zertifizierungsorganisationen gemeinsam an der Transparenz und der Verbesserung von Prozessen während einer Zertifizierung. Denn wir sehen, dass sich der Label-Markt schon sehr wild entwickelt hat in den letzten Jahren. Das stört uns! Wir wollen sicherzustellen, dass das Interesse seitens der Betriebe an Zertifizierungen weiterhin hoch bleibt und keine Frustration eintritt. Weitere Schwerpunkte unserer Arbeit sind die Weiterentwicklung der Nachhaltigkeitsthemen in Destinationen, die Qualifizierung vor Ort, Trainings und Empowerment der Tourismusakteure sowie die Schaffung von Partnerschaften und Kooperationen innerhalb der Zertifizierungslandschaft.