Dr. Franz Hofmann, Geschäftsführer Thüringer Tourismus GmbH

Ein Gespräch über den Re-Start in Thüringen, die Herausforderung ein Bundesland mit vielen Gesichtern zu einer Marke zu formen, und die erstmals stattfindende B2B-Inspirationswoche Travel21.digital der TTG im Juni.

 

Herr Dr. Hofmann, Sie haben die Thüringer Tourismus GmbH (TTG) während der größten bisherigen Tourismuskrise übernommen: Was haben die letzten Monate für den Tourismus in Thüringen bedeutet?

Der Wechsel im August 2020 zur TTG war tatsächlich sehr herausfordernd. Aber die vergangenen Monate waren gleichzeitig auch sehr spannend und lehrreich. Denn in jeder Krise stecken immer auch Chancen. Als positiv denkender Mensch nehme ich Situationen an und versuche trotzdem immer zu gestalten. Die Corona-Krise hat uns zudem gezwungen, viele Dinge als Organisation zu hinterfragen – und das war mit Blick in die Zukunft gut. Darüber hinaus hat sich gezeigt: Thüringen hat viele Corona-konforme Reiseangebote. Entsprechend erfolgreich konnten wir unsere Recovery-Kampagne in 2020 gestalten. Wir sind trotz aller äußeren Schwierigkeiten auf dem richtigen Weg.

Thüringen hat eigentlich ein bis 2025 ausgelegtes Tourismuskonzept. Wie viel hat davon heute überhaupt noch Gültigkeit?

Sehr viel! Unsere Tourismusstrategie hat sich gerade in der Coronazeit bewährt. Die Zielgruppen und die Fokussierung passen. Schon vor der Pandemie wurde festgezurrt, dass man Marketing nicht mit der Gießkanne machen will, dass man Leuchttürme ins Schaufenster stellt, um darüber für Thüringen zu werben. 2021 haben wir zeitlich gesehen Halbzeit und eine genaue Evaluierung des bisher Erreichten steht an. Dann werden wir sehen, wo wir Anpassungen vornehmen müssen. Aber ich kann schon jetzt sagen, dass wir an den Eckpfeilern der Strategie nicht rütteln werden. Abweichungen gibt und gab es aufgrund der vielen Reisebeschränkungen aber dennoch: zum Beispiel im Incoming-Bereich. Internationale Gäste zu werben ist derzeit schwierig. Wir fokussieren wie viele andere zurzeit auf den inländischen Markt. Aber das sind temporäre Anpassungen in der Strategie.

Wie schwer ist es, wenn man von außen kommt und eine Strategie nicht selbst mit erarbeitet hat, diese dann umzusetzen?

Das fiel mir nicht schwer. Ich hatte in den vergangenen Jahren einen MICE-Schwerpunkt in Koblenz. Davor war ich an der Konzeption und Umsetzung verschiedener Tourismusstrategien in Italien, Österreich und in der Schweiz beteiligt. Die Tourismusstrategie Thüringen zu verinnerlichen, ging also recht schnell. In der Umsetzung gibt es aber immer noch genug Spielraum, sodass ich meine Ideen und Erfahrung einbringen darf.

An welchen Stellschrauben drehen Sie derzeit, wenn Sie nicht gerade Krisenmanagement betreiben?

Die Corona-Krise hat uns vor allem eines deutlich gezeigt: Tourismusorganisationen müssen agiler und flexibler werden. Auch haben sich bestimmte Trends beschleunigt, auf die wir in der Marktbearbeitung reagieren müssen. Ich nenne mal beispielhaft, dass besonders viele Aktivitäten im Freien nachgefragt werden, also Wandern, Radfahren, Kanufahren usw. Oder, dass viele Urlauber sich in Richtung Camping statt Hotelaufenthalt orientieren. Kulturelle Angebote sollten oder müssen eher draußen statt drinnen stattfinden, also eher in Parks als in Museen. Auf all diese Trends haben wir in Thüringen gute Antworten bzw. Angebote. Um diese im Markt zu präsentieren, gehen wir dieses Jahr erstmals mit einer eigenen B2B-Inspirationswoche, dem „Travel21.digital“ an den Start. Über eine eigene virtuelle Messeplattform bringen wir vom 1. bis 3. Juni unsere Destinationen, Betriebe und Anbieter mit Reiseveranstaltern, Paketern, der Bus- und Gruppentouristik, mit dem Vertrieb , Reisejournalisten und weiteren Multiplikatoren zusammen. Der „Travel21.digital“ wird also nach außen für Thüringen werben – und intern Impulse setzen, Trends zeigen und die Akteure miteinander vernetzen. Schon jetzt können sich Teilnehmer für dieses kostenfreie Event voranmelden: https://beta.thueringen-entdecken.de/travel21

Was haben Sie dieses Jahr für gute Angebote, dass sie so optimistisch sind?

Ein sehr gutes Beispiel ist die Bundesgartenschau. Offiziell ist sie in Erfurt. Aber mit 25 Außenstandorten ist es genau genommen erstmals in ihrer Geschichte eine Landes-BUGA. Die Idee der Gartenschau wird so in den gesamten Freistaat getragen. Eine Vielzahl von Garten- und Parkanlagen mit historischer Bedeutung und Einmaligkeit ist in das Gesamtkonzept einbezogen und in einem Gartennetzwerk vereint. Somit profitiert das ganze Bundesland von dieser Leuchtturm-Veranstaltung. Für die Anbieter von Paketen und Gruppenreisen bieten sich so viele Kombinationsmöglichkeiten. Nicht zu vergessen: Die Besucherströme verteilen sich regional und zeitlich über Monate. Ich kann mir für dieses Jahr keine bessere Art eines Großevents vorstellen als diese BUGA.

Kommt das Ihrer Vision eines modernen Destinationsmarketing also sehr nahe?

In jedem Fall! Auch deshalb, weil hier bereits bestehende Produkte und Leuchttürme neu miteinander verknüpft werden. Mit unserer Kampagne „Querbeet durch Thüringen“ begleiten wir das BUGA-Jahr entsprechend auf vielen Kanälen, wo wir die Zielgruppen erreichen. Ich glaube, wir haben hier einen echten Joker in der Hand. Eine Landesmarketingorganisation kann – und muss – nicht jedes Jahr neue Produkte entwickeln. Das würde auch gar nicht gehen. Vielmehr besteht unsere Aufgabe darin, die Dinge immer wieder in neuem Glanz strahlen zu lassen, neue Geschichten zu erzählen, die das Interesse der Menschen wecken und so auch unsere Positionierung immer wieder zu justieren. Wenn das im Gleichklang mit einem guten Qualitäts-Management bzw. einer Steigerung der Produktqualität passiert, dann sind wir auf dem richtigen Weg.
Ich plädiere außerdem dafür, dass man als LMO den Tourismus heute viel ganzheitlicher begreifen muss. Man kann den Leisure-Bereich zum Beispiel nicht getrennt vom MICE-Bereich betrachten. Geschäftsreisen und Freizeitaufenthalte haben viele Schnittmengen, die Grenzen verschwimmen immer mehr. Corona hat diesen Trend verstärkt! Ein modernes Destinationsmanagement muss daher den Gast immer ganzheitlich sehen, ganz gleich, ob es sich um einen Tourist oder Business-Reisenden handelt. Die Wertschöpfung für die Region entsteht immer seltener in nur einem Silo.

Was sind die besonderen Herausforderungen hierbei für Thüringen?

Die Herausforderungen für alle touristischen Akteure sind groß. Aber was das Marketing betrifft, braucht Thüringen klare Silhouetten.  Denn wir haben in Thüringen verschiedene Landschaften, eine Vielfalt aus beispielsweise allein grob geschätzt 400 Burgen und Schlössern – und diese gilt es, in eine bedeutende Symbolik zu fassen. Die Herausforderung in Thüringen ist, die richtigen Leuchttürme ins Schaufenster zu stellen. Und wenn man dann mit Leuchttürmen wirbt, werden Erwartungen geweckt beim Gast. Diese gilt es einzulösen, indem ringsum die Erlebnis- und Produktqualität stimmt. Hier gibt es noch viel Arbeit. Doch auch hier hat sich schon sehr viel entwickelt.

Was sind 2021 die Themen, mit denen Sie um Gäste werben werden – und warum?

Wie vorhin bereits erwähnt, gibt es einen starken Trend zu Aktivitäten im Freien. Wir bewerben also entsprechende Angebote von Wandern über Radfahren bis Camping. Trotzdem ist es wichtig, auch für andere Themen, etwa Kulturangebote, zu inspirieren. Denn Städtereisen, Museen, Feste, Messen und Veranstaltungen: Das alles kommt ja wieder! 2021/22 steht für uns auch im Zeichen des 500. Jubiläums der Bibelübersetzung. Wir spielen hier aber nicht nur mit Martin Luther als Bibelvater, sondern haben dieses Fest mit „Welt übersetzen – Sprache lesen, hören, sehen in Thüringen“ überschrieben. Wir wollen die Neugierde wecken, was alles noch hinter dem Jubiläum steckt – beziehungsweise davon beeinflusst worden ist. Und das reicht von der Musik über die Kunstentwicklung bis zu einer neuen Wahrnehmung unserer Sprache. Nicht zu vergessen: Wir feiern und begleiten dieses Jahr 900 Jahre jüdisches Leben in Thüringen; politisch, gesellschaftlich und historisch ist das Thema sehr wichtig.

Mit seiner Landesdatenbank ThüCAT hat Ihr Bundesland einer der Vorreiter in Sachen Open Data und Datenmanagement. Wo steht das Projekt heute und wo konnte es in der Pandemie vielleicht schon zeigen, was es kann?

Hier sind wir wirklich vielen Ländern einen Schritt voraus, was die technische Infrastruktur angeht. Und weil es diese eben schon gab als unsere Branche von Lockdowns und anderen Einschränkungen getroffen wurde, haben die DMOs und viele Betriebe die ungewollte Pause genutzt, um ihre Daten einzupflegen. Mittlerweile verfügt die ThüCAT über rund 8.500 Datensätze. Auch die Widgets und andere Website-Module, die allen kostenlos zugänglich sind, sind inzwischen vielfach eingebunden und werden rege genutzt – mit der DZT sind wir beispielsweise über eine Pilotpartnerschaft verbunden. Die Daten fließen also schon in viele Anwendungen, was den Gästen zugutekommt. Nicht zu vergessen: Durch die offene Vernetzung unserer Daten zu POIs, Angeboten und Veranstaltungen werden diese auch bei Suchmaschinen heute viel besser gefunden als in der Zeit vor der ThüCAT.

 

(16.03.2021)