Ein Gespräch über diesjährigen 2. ADFC-Radtourismuskongress, den jetzt erschienen Kongressband und was man von erfolgreichen radtouristischen Regionen und Radfernwegen lernen kann.
Herr Tänzler, vom 13. bis 15. Mai 2025 trafen sich in Bremen Experten und Entscheider aus Tourismus und Radverkehr zum 2. ADFC-Radtourismuskongress. Wie hat sich die Veranstaltung im Vergleich zur Premiere weiterentwickelt – oder auch bereits in der Branche ein Standing erarbeitet?
Mit dem Radtourismuskongress 2019, den wir in Zusammenarbeit mit der Ruhr Tourismus GmbH durchgeführt haben, entstand erstmals eine bundesweite Austauschplattform für den Radtourismus. An dieses erfolgreiche Format wollten wir anknüpfen und den Raum für aktuelle Themen und Herausforderungen im Radtourismus bieten. Diesmal haben wir die Vernetzung der unterschiedlichen Akteure noch stärker in den Fokus gesetzt und explizit Planer und Touristiker angesprochen. Neben Keynotes boten speziell die Workshops in kleineren Gruppen die Möglichkeit für den intensiven fachlichen Austausch und den Blick über den eigenen Tellerrand, der auch im Radtourismus eine große Rolle spielt. Neu war in dieser Ausgabe der öffentliche Aufruf zur Beteiligung am Kongressprogramm und die Begleitung durch einen Fachbeirat. Nicht zuletzt freuen wir uns darüber, dass wir die Ergebnisse in einem Kongressband einer interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung stellen können, der ab sofort digital zur Verfügung steht. Das große Interesse zur Teilnahme, das positive Feedback sowie die Nachfragen nach dem nächsten Termin zeigen uns: Der Radtourismuskongress hat sich als analoges Veranstaltungsformat in der Branche etabliert.
Ziel war es, gemeinsam neue Wege zu gestalten und Radtourismus und Radverkehrsplanung neu zu denken. Welche Themen standen besonders im Fokus?
Im Fokus standen die aktuellen Herausforderungen im Radtourismus (Finanzierung, Qualitätsentwicklung, Klimawandelanpassung, Naturschutz, Digitalisierung und KI) – und wie diese durch eine bessere Zusammenarbeit angepackt werden können. Der offene Aufruf zur Beteiligung hat dazu geführt, dass sich viele Akteure mit praxisorientierten Beispielen und Lösungen für den Radtourismus präsentierten.
Beim Thema, wie Radrouten den wirtschaftlichen Aufschwung auch in ländlichen Gebieten fördern, ging es stark auch darum, die Fähigkeit zu entwickeln, interdisziplinär zusammenzuarbeiten. Warum hakt es manchmal an der nötigen Vernetzung?
Die Antwort lässt sich vielleicht eher dort finden, wo die Zusammenarbeit gelingt: Bei erfolgreichen radtouristischen Regionen oder Radfernwegen haben die Handelnden eine gemeinsame Sprache gefunden und sie haben ein gemeinsames Verständnis davon entwickelt, wo sie hinwollen. Sie sind in starken Netzwerken organisiert, die von Schlüsselpersonen vorangebracht werden. Dabei hilft es auch, den Radtourismus nicht als rein touristische Aufgabe zu betrachten: Er lebt von der Mitwirkung nicht-touristischer Akteure. Einheimische profitieren ebenfalls.
Der ADFC hat wie kein anderer Akteur die Veränderungen des Radtourismus und des Alltagsverkehrs im Blick: Was hat sich hier in den vergangenen Jahren verändert – und wo beflügeln sich die beiden Teilbereiche vielleicht sogar?
Elektrofahrräder werden immer beliebter und das wirkt sich aus: Sie machen sowohl das Alltagsradfahren als auch den Radtourismus zugänglicher, wodurch neue Zielgruppen erschlossen werden. Diese wiederum verstärken den Wunsch nach sicherer Infrastruktur, speziell im ländlichen Raum. Und hier kann der Radtourismus ein wichtiger Treiber für den Ausbau sein, wovon auch die Anwohner profitieren. Umgekehrt führt das Radfahren im Urlaub und in der Freizeit auch dazu, dass Menschen im Alltag mehr Rad fahren, wie die ADFC-Radreiseanalyse belegt.
Radfahren ist und bleibt ein analoges Erlebnis: Wo und warum spielt Digitalisierung trotzdem mehr und mehr eine Rolle?
Die ADFC-Radreiseanalyse zeigt, dass die Hauptgründe für Radreisen zutiefst analog sind: Radreisende wollen mehr von Land und Leuten sehen. Sie wollen im Urlaub aktiv sein und Strecken erkunden, die nur mit dem Fahrrad erreichbar sind, und zugleich klimafreundlich reisen und etwas für die eigene Gesundheit tun. Trotzdem ist jede Phase der Radreise oder des Tagesausflugs digital begleitet – von der Inspiration über die Zielwahl zur Routenplanung und Orientierung vor Ort bis zum Teilen des Erlebnisses. Damit wächst die Bedeutung qualitativ hochwertiger, verfügbarer und aktueller Daten zu den Routen, zur vorhandenen Infrastruktur und dem begleitenden touristischen Angebot. Deshalb sind Initiativen wie die Route 3.0, bei denen wir im Rahmen der DTV-Arbeitsgruppe Qualität mitgearbeitet haben, so wichtig. Weitere Chancen liegen in der verbesserten Besucher-Lenkung.
Was waren für Sie die wichtigsten Ergebnisse oder sogar Botschaften aus den Workshops?
Die Workshops haben gezeigt, wie wichtig eine ganzheitliche Betrachtung des Radtourismus ist: Er ist ein bedeutender Beitrag zur Wertschöpfung und ein Standortfaktor, der Orte auch für Einheimische lebenswerter macht und Arbeitsplätze schafft. Als aktive Mobilitätsform trägt er zur Gesundheit und Prävention bei. Mit einer ganzheitlichen Betrachtung ist es möglich, die vielfältigen Potenziale des Radtourismus zu heben und neue Zielgruppen zu erschließen. Neben den starken inhaltlichen Akzenten machte der Kongress deutlich, wie wichtig die Vernetzung und ein breiter interdisziplinärer Austausch sind, um im Radtourismus voranzukommen.
Was sind auch mit Blick auf die nächsten Jahre die größten Herausforderungen des Radtourismus?
Zu den größten Herausforderungen gehört es, das bestehende radtouristische Angebot in seiner Qualität weiterzuentwickeln und zu pflegen. Dafür braucht es langfristig sichere Fördermittel und Finanzierungsmöglichkeiten. Es benötigt aber auch Personal mit dem passenden Know-how in den Regionen, um Mittel für die länder- und kommunen-übergreifende Projekte abzurufen und zu realisieren. Seit Jahren bewerten Radreisende die Möglichkeiten zur Fahrradmitnahme – sowohl im Nah- als auch im Fernverkehr – als sehr kritisch. Dafür braucht es mehr Kapazitäten, aber auch barrierefreie Zugänge und bundesweit einheitliche Mitnahmeregelungen. Ergänzt werden könnte diese Option durch attraktive und smarte Mietradangebote, die gerade in saisonalen Spitzen die Nachfrage zusätzlich bedienen können. Nicht zuletzt liegt die Herausforderung – aber auch Chance – darin, passende Angebote für die sich wandelnden Bedürfnisse der Radreisenden zu schaffen. Eine stärkere Ausdifferenzierung bei den Rädertypen und Reiseformen, wachsende Flexibilität in der Urlaubsgestaltung und der Klimawandel sowie Anforderungen an den Naturschutz spielen hierbei eine Rolle.
HIER GEHT’S ZUM DOWNLOAD DES KONGRESSBANDES ZUM ADFC-RADTOURISMUSKONGRESS 2025