Reinhold Messner, Bergsteiger und Weltbürger

Interview Reinhold MessenerEin Gespräch auf dem RDA Workshop über die Gruppentouristik, Europäer als Weltbürger und seine Museen in Südtirol.

Herr Messner, Sie haben sich einst als Südtiroler, als Europäer und als Weltbürger bezeichnet – in dieser Reihenfolge. Vertreten Sie diese Aussage beim Blick nach Europa heute immer noch?

Messner: Ja, ich vertrete das immer noch so und ich hoffe, dass Europa nicht auseinanderbricht. Der Brexit ist für Europa nicht unbedingt ein Nachteil, denn die Engländer haben in Europa immer nur halbherzig mitgemacht. In fünf Jahren im EU-Parlament habe ich das erlebt, das war zum Teil schon ärgerlich.

Was ist falsch gelaufen im Streben nach dem gemeinsamen Europa?

Messner: Viele denken, dass die Globalisierung ihnen Nachteile bringt. Europa ist nicht verstanden worden als eine Art Hilfe, mit der Globalisierung zurechtzukommen. Ohne Europa haben wir keine Zukunft. Wir würden untergehen – nicht Deutschland vielleicht, aber ganz sicher Italien. Doch die Menschen vertrauen den Nationalstaaten mehr als der EU. Im nationalen Rahmen fühlen sie sich aufgehoben. Und sie haben den Eindruck, die Globalisierung frisst ihnen alles weg und das Einkommen wird weniger – dabei ist es in Wirklichkeit genau umgekehrt.

Sie als Südtiroler haben ohnehin einen eigenen Blick auf die EU…

Messner: Ja, sicher. Wir sind keine Italiener, wir sind keine Österreicher, wir sind keine Deutschen. Wir haben keinen deutschen Pass. Wir sprechen deutsch, wir sprechen aber auch italienisch. Wir sind schon vorbereitet auf Europa, doch wenn wir Südtiroler Europa verlieren, sitzen wir wieder zwischen den Stühlen. Dann sind wir wieder Italiener und müssen uns auch so fühlen, denn wir können uns nicht abtrennen.

Das hört sich nun an, als seien Sie doch lieber zuerst Europäer…

Messner: Ich hätte am liebsten einen europäischen Pass und europäische Steuergesetze. Ich brauche keine Nation. Mein Traum ist es, die Nationalstaaten, in denen wir zusammengewachsen sind, als Krücken zu nutzen, um europäisch zum gemeinsamen Schritt zu kommen. Dann wird die Macht nach oben an die EU und nach unten in die Regionen verteilt und die Nationalstaaten verflüchtigen sich.

Wenn Sie von Südtirol nach Österreich schauen – können Sie sich diesen Rechtsruck erklären, der dort stattgefunden hat?

Messner: Die FPÖ war dort auch unter Haider schon stark. Er hat dann Regierungsverantwortung bekommen, und damit glaubte man, das Problem sei gelöst. Der neue österreichische Kanzler ist ein gescheiter Mann. Ein Europäer, der den Mut hat, die Dinge beim Namen zu nennen. Er könnte einen Umschwung bringen, obwohl die FPÖ in Österreich stark bleiben wird. Österreich hat mehr rechtslastige Menschen als Deutschland, weil Deutschland früh und vorbildlich mit seiner jüngeren Geschichte aufgeräumt hat. Österreich hat das immer verweigert.

Sieht man Deutschland in anderen Ländern ebenfalls so? Welche Erfahrungen machen Sie auf Ihren Reisen?

Messner: Ich werde auf Reisen oft als Deutscher angesehen, und eines ist sicher: Deutschland hatte weltweit noch nie so viel Respekt wie aktuell. Es ist das am meisten respektierte Land der Welt. Nur intern hadert Deutschland noch immer mit sich selbst.

Sprechen wir über Reinhold Messner. Sie definieren sich in Ihren Lebensabschnitten. In Ihrem letzten Lebensabschnitt haben Sie in Südtirol sechs von deutschen Busveranstaltern gerne besuchte Museen aufgebaut.

Messner: Womit dieser Lebensabschnitt nun abgeschlossen ist. Es gibt kein Thema mehr für ein weiteres Museum. Das war mir seit etwa fünf Jahren klar. Das ist nun fertig. Wobei ein Museum an sich nie fertig wird. Ein Museum ist ein Prozess, es darf nie eine statische Geschichte sein.

Waren die wissenschaftlichen Ansätze, die Sie in Ihren Museen vermitteln, Ihr naturgegebenes Interesse oder ist dieses Interesse mit Ihrem Leben gewachsen?

Messner: Zu Beginn bin ich Klettern gegangen, und an den höchsten Bergen der Welt wollte ich die Gipfel erreichen. Die Neugierde, die über den Berg hinaus ging, kam dann mit 25 plus. Zuerst die Menschen, wie sie leben, und schließlich dann die Geologie. Später hatte ich dann das Glück, bei der Bergung des Ötzi quasi direkt vor Ort zu sein. Da habe ich viele Kontakte zu Wissenschaftlern geknüpft, die mir Dinge erzählt haben, die ich nicht wissen konnte.

Mittlerweile sind Sie Anfang 70. Was kommt da noch?

Messner: Ich werde versuchen, Berggeschichten zu erzählen über den Film – und zwar mit meinen eigenen Vorstellungen. Nummer eins: Der Berg spielt die Hauptrolle. Nummer zwei: Das Leben schreibt die besten Geschichten. Kein Autor kann sich ausdenken, was das Leben schreibt. Ich muss es nur ehrlich und offen aufnehmen.

Also gehen Sie unter die Drehbuchautoren…

Messner: Ich bin Autor und Regisseur. Die erste Geschichte ist schon fertig, finanziert von ServusTV. Das war eine Geschichte, die ich schon lange machen wollte. Der Sender nimmt sich seine Geschichte und produziert sie fürs TV. Ich selbst erhalte die Erlaubnis, einen Director’s Cut fürs Kino zu machen.

 

Da Sie ja nun auch ein touristischer Leistungsträger in Südtirol sind, welche Argumente sprechen dafür, Südtirol einen Besuch abzustatten?

Messner: Wir haben mit den Dolomiten und mit der Ortler-Gruppe die vom Charakter und von der Ausstrahlung her schönsten Berge der Welt. Die Berglandschaft in Südtirol ist unverwechselbar, und wir haben uns unsere Bergkultur bewahrt. Man kann in Südtirol erleben, wie Menschen in den Bergen vor Tausenden von Jahren gelebt und gewirtschaftet haben. Allerdings: Ohne die Bauernhöfe wären da nur Wälder mit Bergen drauf. So aber ist alles belebt und gepflegt – in der Summe aus Natur- und Kulturlandschaft ein Landschaftsbild wie nirgendwo sonst auf der Welt mit Weinbergen, Gletscherschnee und vielen Renaissancebauten aus der Romanik.

Das Interview führte Thorsten Keller  /  Foto: Keller

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