Peter Linden, Trainer, Dozent und Journalist

Peter Linden JournalistEin Gespräch über den Ist-Zustand deutscher Reiseteile, das Storytelling von Fremdenverkehrsämtern und wie man mit guten Geschichten Produkte und Regionen verkaufen kann.

In Sachen Reisejournalismus und Medienwirkung gibt es keinen Trainer, der so viele Zeitungen, PR-Agenturen, aber auch Pressestellen und Fremdenverkehrsämter beraten hat. Was ist die wichtigste Message, die Sie allen mitgeben?

Linden: Alles in allem heißt das Zauberwort „Storytelling“. Man sollte aufhören nur Produkte zu verkaufen, sondern wieder mehr Geschichten erzählen.

Aber alle sagen doch schon immer, guter Content sei das A und O – auch beim Marketing. Nur so wird man als Destination oder Region wahrgenommen, oder?

Linden: Auf jeden Fall. Wir kennen das aus der Werbung. Es gibt Spots, die begeistern monatelang im Internet und werden geteilt ohne Ende. Weil die Leute es rührend und bewegend finden, was da erzählt wird. Und darüber merkt man sich dann das Unternehmen, das hinter der Werbung steckt. Oder den Ort. Menschen hören und sehen einfach gerne gute Geschichten.

Aber warum gibt es dann so viele schlechte Geschichten, so viel Beliebigkeit, gerade im Reisebereich?

Linden: Weil es immer wieder zu dem Problem kommt, dass die Leute zuerst den Verkauf sehen – und nicht die Art und Weise, wie man ein Produkt jeweils am besten verkaufen könnte. Da unterscheiden sich PR-Branche und Journalismus übrigens gar nicht voneinander. Man muss sich in beiden Bereichen gut überlegen, mit welchem Vehikel man welche Information am besten transportiert. Tut man das nicht, werden keine Geschichten erzählt, sondern den Leuten nur Fakten um die Ohren geknallt. Der Slogan „Fakten, Fakten, Fakten“ ist so gesehen die Beerdigung des Erzählens einer guten Geschichte.

Was sollten Presseverantwortliche und Journalisten also besser machen?

Linden: Journalisten müssen endlich wieder anfangen an ihre Leser zu denken – und nicht zuerst an jene, die sie eingeladen haben. Da besteht leider eine gewisse moralische Abhängigkeit. Wenn man tagelang mit dem Hotelier oder jemandem vom Fremdenverkehrsamt unterwegs ist, ist die Gefahr groß, dass man die Message des Einladers zu seiner eigenen macht.

Sie haben Reiseteile mit der Readerscan-Methode analysiert. Wie nutzen Leser heute den Reiseteil in der Tageszeitung?

Linden: Die Analysen habe ich nicht selbst gemacht. Dieses wirklich gute System zur Analyse von Lesegewohnheiten mit Hilfe eines Scanners in Stiftform entwickelte Carlo Imboden aus der Schweiz. Ich hatte nur Zugriff auf die Ergebnisse. Aber was man sagen kann ist, dass je werblicher und beliebiger die Themen sind, desto schlechter die Quote. Oder andersherum: Wenn es im Reiseteil eine Verbindung zu einem Thema gibt, dass die Leute gerade sowieso interessiert, dann ist die Quote hoch.

Gibt es ein aktuelles Beispiel?

Linden: Ja. Zum Beispiel die Reportage in der Süddeutschen Zeitung neulich über die Versöhnung der Hoteliers auf der Insel Kos mit der Flüchtlingsproblematik. Ihren Versuch, diesen Sommer jetzt irgendwie damit zurechtzukommen. Ihren Versuch, die Insel wieder positiv zu sehen. Diese Geschichte wurde gut gelesen, weil sie verschiedenste Lesergruppen abgeholt hat.

Und wie viele Leser nutzen den Reiseteil?

Linden: Im Durchschnitt zehn Prozent und weniger. Ausreißer nach oben gibt es nur, wenn ein Text eine Relevanz über die reine Ortsbeschreibung hinaus hat.

Zehn Prozent und weniger sind dramatisch wenig. Da kann man den Reiseteil vielerorts ja gleich einstellen.

Linden: Genau. Und einige Zeitungen tun das auch. Der Reiseteil wird dort mit anderen schwach genutzten Ressorts zusammengelegt. Das ist dann fast die letzte Chance, noch ein paar Stippvisiten mehr auf den Reiseseiten zu bekommen. Aber die bessere Möglichkeit ist, den Reiseteil neu zu konzipieren. Raus aus dem werblichen Bereich – hin zu faszinierenden Geschichten. Der Leser will nicht dauernd das Gefühl haben, im Reiseteil etwas verkauft zu bekommen. Er will guten Lesestoff. Und hier sollte man gemeinsam ansetzen. Denn am Ende verkauft man auch nur über gute Geschichten ein Produkt. Da haben Verlage, Journalisten und Fremdenverkehrsämter also im Prinzip ähnliche Interessen.

Wie müsste dann eine erfolgreiche Zusammenarbeit dieser Akteure aussehen?

Linden: Ich glaube, Zusammenarbeit ist das falsche Wort. Wenn jeder seine Hausaufgaben professionell macht, dann kommt am Ende etwas Vernünftiges dabei heraus. Der Journalist muss wieder journalistischer denken. Die Fremdenverkehrsämter müssen an ihrem  Storytelling arbeiten. Und die Verleger müssen aufhören den Reiseteil als Anzeigen-Melkkuh zu begreifen, gleichzeitig aber die Seiten qualitativ vor die Hunde gehen zu lassen. So gut wie alle Reiseredaktionen sind wirtschaftlich und personell katastrophal ausgestattet.

Die drastisch schrumpfende Reichweite klassischer Reiseteile, das Nutzerverhalten der Leser und die oft fehlende Qualität lassen die Anzeigenerlöse der klassischen Verlage einbrechen. Die Marketing-Abteilungen versuchen neue Wege, zum Beispiel mit Bloggern. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Linden: Blogger haben in der Regel eine noch viel geringere Reichweite als schlecht genutzte Print-Reiseteile. Das ganze Social-Media-Thema hat eher damit zu tun, dass die Werbebudgets breiter gestreut werden. Nicht nur der Reisebereich bekommt den Trend im Netz zu spüren. Der Kunde schaut heute genau hin, ob sich da, wo er sein Geld ausgibt, auch wirklich Leser aufhalten.

Abschlussfrage: Wie sieht die Zukunft des Reisejournalismus aus?

Linden: Den Berufswunsch Reisejournalist gibt es bei jungen Menschen kaum mehr. Es gibt ja auch keine Stellen. Und die Erfahrenen kommen nicht mehr über die Runden mit der Art und Weise, wie sie touristische Berichterstattung machen. Also verändert sich zwangsläufig etwas.
Junge Journalisten sind heute oft in anderen Ressorts tätig – machen aber ab und zu eine Reisereportage, wenn sie eine tolle Idee haben. Und von denen, die schon lange dabei sind, schreiben immer mehr auch außerhalb der Reiseseiten. Das kann eine Lösung sein. Man bleibt nicht mehr so unter sich im Reisejournalismus, man muss sich zwangsläufig öffnen. Und diese Öffnung bringt etwas.