Horst Graf, Kurdirektor von Bad Wörishofen

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Ein Gespräch über den Gesundheitsurlaub als Kurzreise, die steigende Herausforderung seine Zielgruppe zu erreichen, und Krankenkassen, die keine Kuren mehr verschreiben.

 

Herr Graf, Bad Wörishofen ist die Heimat aller Kneipp-Anwendungen. Wie wichtig ist das Thema heute noch in der Kommunikation und im Marketing?

Kneipp ist unser Alleinstellungsmerkmal. Bei uns hat er gelebt, gewirkt und seine Therapie entwickelt. Wenn man so ein Aushängeschild hat, ist es fast schon eine Pflicht, es auch ganz nach vorne zu hängen. Aber wir setzen im Marketing nicht nur auf Kneipp, Kur und Gesundheit. Wir werben nicht mit Krankheit, sondern kommunizieren mit positivem Wording: bewusst entspannen, gelassen bewegen, verlässlich gesund, das ist unsere Linie. Aber darüber lässt sich das Produkt Kneipp gut verkaufen.

 

Also wird die Botschaft andersherum transportiert: Man soll nicht zu Ihnen kommen, um gesund zu werden, sondern um gesund zu bleiben.

Ganz genau. Das ist der große Wandel, den viele Orte unsere Branche vollzogen haben. Weg von der Anwendung, hin zur Zuwendung. Wobei das durchaus auch wieder eine klassische Anwendung sein kann.

 

Die Urlauberzahlen für Deutschland steigen, profitiert das Segment Wellness auch vom aktuellen Trend?

Das gesamte Urlaubsverhalten hat sich gewandelt. Es wird immer kurzfristiger gebucht, die Reisedauer sinkt, dafür fährt man öfter mal irgendwo hin. Und gerade diese Kurzurlaube sind in vielen Fällen Gesundheitsurlaube. Allein im Juli hatten wir Plus von 15 Prozent bei den Ankünften.

 

Also stellen Sie sich bewusst auf die Kurzurlauber ein? Oder kommen so oder so immer mehr Gäste, weil die Gesellschaft älter wird?

Wir haben in den vergangenen Jahren unsere Angebotspalette im Bereich der Kurz-Pauschalen deutlich ausgebaut. Und natürlich werden wir alle älter. Doch das ältere Publikum ist von uns ausdrücklich gewünscht. Es passt mit seiner Lebenserfahrung, dem kulturellen Anspruch und der Kaufkraft genau zu unserem Angebot.

 

Wie viel Prozent macht durch diese Verschiebung hin zum privaten Wellness-Urlaub noch der klassische Kurgast aus?

In ganz Deutschland wurden im ersten Halbjahr 2016 gerade einmal 22.000 Kuren laut ersten Erhebungen von den Krankenkassen verordnet. 2015 waren es gesamt 46.000. Zu den Hochzeiten des Kurwesens waren es über 800.000 pro Jahr. Grob überschlagen sind heute noch 25 Prozent unserer Gäste Kurgäste.

 

Dann ist der Wandel der Kurorte hin zur Prävention also dem Zwang geschuldet, weil Ihnen die Kranken- und Rentenkassen keine Gäste mehr schicken?

Die alten Zeiten sind vorbei. Wir müssen um jeden Gast kämpfen. Was Bad Wörishofen im Besonderen ausmacht ist, dass wir nur eine Klinik haben. Und die macht mit ihrer Reha gerade einmal etwa fünf Prozent unserer Gäste aus. Der Großteil unserer insgesamt 140.000 Übernachtungsgäste wohnt in Hotels und Ferienwohnungen. Davon macht zwar auch noch ein Teil eine private Kur, aber wir können uns nicht auf das reine Kurgeschäft verlassen.

 

Welchen Anteil haben Tagesgäste am Gesundheitstourismus? Sie werben mit der schönsten Therme Deutschlands.

Die Therme allein hat im Jahr etwa 750.000 Besucher. Das ist eine echte Nummer. Dazu kommen gerade an schönen Tagen noch viel mehr Gäste und Familien, vor allem um den Kurpark zu besuchen. Auch viele Busse machen hier Halt. Die genaue Zahl der Tagesgäste lässt sich daher schwer beziffern.

 

Was sind aktuell und in den kommenden Jahren die größten Herausforderungen eines Kurortes wie Bad Wörishofen?

Die große Frage lautet: Wie komme ich an meine Kunden? Da hat sich die Ansprache in den letzten Jahren stark verändert. Viel geht heute im persönlich-emotionalen Bereich über Facebook und Youtube. Von Google Adwords bis zur klassischen Printanzeige müssen viel mehr Kanäle bespielt werden. Der Aufwand steigt also deutlich.

 

Trotz immer mehr Kanälen wird aber gleichzeitig das Marketing-Budget gekürzt. Und viele der älteren Gäste, ihre Hauptzielgruppe, sind nicht so onlineaffin.

Die beste Werbung für uns ist immer noch die Mund-zu-Mund-Propaganda. Und die funktioniert für Bad Wörishofen sehr gut. Weil unsere Qualität stimmt. Eine hohe Qualität ist Grundvoraussetzung für den hohen Zufriedenheitsgrad der Gäste. Der große Kurpark, das Kurorchester, die Wassertretanlagen und vieles mehr – das alles ist insbesondere eine Herausforderung in puncto Instandhaltung und Finanzierung.

 

Um die Qualität hoch zu halten, brauchen Sie von den ärztlichen Leistungen über Reha- und Betreuungsangebote gute Leute. Ist Fachkräftemangel bei Ihnen ein Thema?

Es ist ein Thema. Wir leben hier im Allgäu, in einer Region mit einer Arbeitslosenquote von unter drei Prozent. Da finden Sie schwer Fachkräfte. Es ist schwierig gute Servicekräfte für Hotels und Gastronomie zu bekommen. Und welcher Arzt will heute noch aufs Land? Dazu konkurrieren wir als städtischer Betrieb mit entsprechender Gehaltsstruktur mit der freien Wirtschaft.

 

Abschlussfrage: Wie wird sich Bad Wörishofen für die Zukunft aufstellen?

Wir haben dieses Jahr einen Masterplan verabschiedet. Und das Schöne daran ist: Er wurde nicht von einer Agentur gemacht, sondern von uns selbst entwickelt. Das war wichtig! Denn jetzt haben wir Leitlinien, mit denen sich alle identifizieren. Bis 2021, dem Geburtstag von Sebastian Kneipp, haben wir einen roten Faden, der abgearbeitet wird. Gleich nächstes Jahr feiern wir 950 Jahre Bad Wörishofen, so reiht sich eins ans andere. Wichtige Maßnahmen, die es umzusetzen gilt, sind etwa der Ausbau des Kneipp-Museums, die Fokussierung im Marketing auf vier Themenfelder und das Thema Kneipp als immaterielles Kulturerbe noch weiter in den Vordergrund zu stellen.