DIETER HÜTTE, GESCHÄFTSFÜHRER TOURISMUS-MARKETING BRANDENBURG GMBH

Ein Gespräch über den Deutschen Tourismuspreis als Relevanztreiber für die Digitalisierung bei Politik und Leistungsträgern, warum Brandenburg nicht wie im „old fashioned“ Tourismus-Lehrbuch funktioniert, und was Strukturprobleme mit fehlendem Mut auf Investorenseite zu tun haben.

 

Herr Hütte, die TMB ist vor einem halben Jahr mit dem 1. Platz beim Deutschen Tourismuspreises für ihr digitales Content-Netzwerk ausgezeichnet worden. Ein Online-Reservierungssystem wird hier mit einer landesweiten POI- und Veranstaltungsdatenbank vernetzt, um systematisch digitale Daten in allen Phasen der Customer Journey bedarfsgerecht bereit zu stellen. Wie kommt es, dass ein kleines Land wie Brandenburg hier vornewegmarschiert?

Hütte: Klein steht hier natürlich in Anführungsstrichen (lacht). Brandenburg ist ja immerhin das fünftgrößte Flächenland in Deutschland. Der Preis ist das Ergebnis von mehr als zehn Jahren Arbeit. Und Ergebnis unserer Bemühungen, den Gast in den Mittelpunkt der Kommunikation zu stellen.
Daten sind heute eine wertvolle Ressource – das „Erdöl des 21. Jahrhunderts“ – und Brandenburg verfügt mit dem ContentNetzwerk genau über diesen wichtigen „Rohstoff“. Der Hintergrund ist die 500-jährige Geschichte Brandenburgs. Sie bietet so viele Geschichten, die am richtigen Ort richtig erzählt werden wollen, so dass wir uns einfach Gedanken um die Art der Ausspielung machen mussten. Seinerzeit entstand erst eine Sammlung von Daten, dann eine POI-Datenbank, und dann hatten wir mit Jan Hoffmann einen Mann, der den Blick in die Gaskugel gewagt hat, sodass wir letztlich dieses  ganze Netzwerk realisiert haben. Wir sind nun ein verlässlicher Datenlieferant für die gesamte Destination.

 

Das Ausspielen der Informationen vor Ort ist auch ein Hardware-Thema. Aktuell läuft ein Förderprogramm für digitale Touchpoints, also für interaktive Stelen und Bildschirme. Wie ist hier der Stand?

Zunächst muss ich sagen, das die Auszeichnung mit dem Deutschen Tourismuspreis im ganzen Land sehr positiv aufgenommen wurde. Das Interesse am Thema „Digitalisierung“ bekam dadurch nochmal einen Schub. Das entsprechende Wirtschaftsförderprogramm ist auch teilweise als Folge dieses Sieges zu verstehen. 90 Prozent der Investitionssumme werden hier gefördert. Regionen oder andere touristische Einheiten schließen sich dafür zusammen. Bisher konnten bereits 31 „Power User“ als Pilotanwender gewonnen werden. Zur „Digitalisierung“ fanden bislang 36 Veranstaltungen in allen Regionen Brandenburgs statt an denen über 400 Unternehmerinnen und Unternehmen teilnahmen – ein sehr großer Zuspruch also.


Abgesehen von der Hardware: Wie lange hat es gedauert, allein rund 500 Menschen in der Fläche dazu zu bewegen, ihre Daten einheitlich einzupflegen und aktuell zu halten?  Geht das nur top-down?

Angefangen haben wir damit bei der TMB. Aus einem Top-down-Prozess wurde dann aber im Laufe der Zeit eine Bottom-up-Entwicklung. Denn die lokalen Ebenen haben ihr Mitmachen irgendwann eingefordert. Mit der Begründung, dass sie sich vor Ort viel besser auskennen und näher an den Gästen und Gastgebern dran sind, was stimmt. Und so haben wir heute sehr gepflegte und in der Regel aktuelle Daten. Alle ziehen hier an einem „Daten-Strang“.

 

Brandenburg hatte 2018 wie die meisten anderen Bundesländer ein Rekordjahr mit 13 Millionen Übernachtungen. Das entspricht 2,7 Prozent aller Gäste-Übernachtungen, die in Deutschland vergangenes Jahr stattfanden. Bitte ordnen Sie uns das ein.

Diese Zahlen beziehen sich auf die amtliche Statistik, nicht eingerechnet ist hier der private Sektor, wo wir ebenfalls eine sehr positive Entwicklung vorweisen können. Ich bin aber nie jemand gewesen, der nur auf diese Zahlen schaut. Ich finde sogar, dass derlei touristische Statistiken nicht geeignet sind, den Ist-Zustand einer Region abzubilden. Denn wie sie selbst sehen, bei der digitalen Entwicklung sind wir gegenwärtig weit vorne. Ein Fakt, der auf die Zukunft zielt und einen gewissen Führungsanspruch zeigt, den so eine Tabelle aber nicht abbildet. Dazu muss man die prozentualen Rekorde, und noch wichtiger, die absoluten Zahlen immer im Zusammenhang mit den Strukturen in einem Bundesland bewerten. Bei uns steht nicht wie an der Ostseeküste Mecklenburg-Vorpommerns eine relativ dichte Hotelbebauung. Wir haben nicht das eine touristische Schaufenster, um das sich die Investoren reißen. Wir haben viele kleine Schaufenster. Und trotzdem ging es immer in Schritten mit der Entwicklung nach oben, größtenteils haben sich die Leistungsträger aus sich selbst heraus weiterentwickelt.

 

Sie geben also auch der Investitionsseite die Schuld, dass es an Hotelkapazitäten fehlt?

Es geht doch nicht um Schuldige! Dennoch finde ich, dass die größeren Investoren, die von außen Standorte entwickeln, oft zu traditionell an Projekte herangehen. Man investiert lieber als zehntes mee-too-Produkt an irgendeiner Küste, als Trendsetter zu sein. Das nimmt inzwischen fast absurde Züge an. Es gibt Hotelketten, die haben mittlerweile von der einen Marke zig Hotels in einer Großstadt – aber keines mit einem angepassten Portfolio für ein Flächenland wie  Brandenburg. Dabei nur mal am Rande: Hier entsteht gerade Europas größte künstliche Wasserlandschaft und Deutschlands viertgrößtes Seengebiet in der Schnittstelle zu Polen, Tschechien und den Ballungszentren Berlin, Dresden und Leipzig – das Lausitzer Seenland.

 

Klingt nach einem Ost-West-Thema. Hier der strukturschwache Osten, wo keiner investieren will. Da der reiche Westen.

So ist es nicht! Es wird ja investiert und der Tourismus in Brandenburg ist eine Erfolgsgeschichte! Das Gastgewerbe hat es immer gegeben und die Verzahnung der Branche in die neuen Bundesländer lief schnell und reibungslos. Die Menschen im Osten waren bereits gut ausgebildet und konnten die Jobs gut übernehmen. Einzig in ein paar neue Produkte musste man sich reindenken. Tropical Islands beweist in Brandenburg, dass es sich lohnt, neue und ungewöhnliche Wege zu gehen. Auch branchenfremde Investoren sind bei uns erfolgreich tätig. Hinzu kommt eine junge, kreative Gründer-Szene mit innovativen und neuen Angeboten.

 

Nur 0,9 Prozent der Reisen mit einer Dauer von mehr als 5 Tagen Dauer hatten 2018 Brandenburg zum Ziel. Brandenburg funktioniert also fast ausschließlich als Kurzreiseziel?

Natürlich. Und damit habe ich auch kein Problem. Denn das ist nicht negativ. Neben den Kurzreisenden suchen rund 90 Millionen Tagesgäste einfach mal Ruhe, beispielsweise aus dem Quellmarkt Berlin. Etwas anders sieht es bei uns auf dem Wasser aus – mehr als die Hälfte der Motorbooturlauber sind länger als eine Woche unterwegs, Tendenz steigend! Brandenburg verfügt über das größte vernetzte Wassersportrevier Europas. Hinzu kommt das kulturelle Angebot, Wandern, Radfahren etc. Auf den Radwegen, wie beispielsweise dem Radweg Berlin-Kopenhagen oder Berlin-Usedom, sind die Gäste meist bis zu zwei Wochen unterwegs. Brandenburg-Tourismus funktioniert nicht wie im „old fashioned“ Tourismus-Lehrbuch. Das Bild setzt sich wie in einem Puzzle aus vielen einzelnen Teilen, die jeweils eine eigene Berechtigung haben,  zusammen. Als Erlebnis für die Gäste und wirtschaftlich für die Unternehmer.

 

Wie und wo werben Sie um Gäste?

Wir verfolgen eine 365-Tage-Kommunikation auf vielen Kanälen. Die „Mutter aller Kanäle“ ist dabei unsere Website. Und von diesem Kanal kann ich trotz einiger andersmeinender Experten nur sagen: Bei uns gewinnt er an Bedeutung. Immer mehr Menschen halten sich dort immer länger auf. Dazu kommen neben Social-Media-Aktivitäten im Jahr zwei größere Marketingkampagnen, die wir beim Thema Wasser auch mit Mecklenburg-Vorpommern abstimmen. Oder mit dem Berliner Tagesspiegel haben wir eine gemeinsame Serie. Wichtig sind auch Kooperationen. Etwa, dass die App „DB-Ausflug“ auf die Daten aus unserem Content-Netzwerk zurückgreift, sie also ausspielt, ist für uns Marketing. Es muss also nicht immer TMB draufstehen. Viel wichtiger ist, dass der Gast zufrieden ist und die Leistungsträger neue Kunden gewinnen.

 

Sie kommunizieren stark auch nach innen, zum Beispiel über ihr Tourismusnetzwerk. Welche Rolle spielt die interne Kommunikation für Sie – und wo ist sie besonders wichtig?

Die Kommunikation nach innen ist uns sehr wichtig, um Akzeptanz zu schaffen und um zu informieren. Gerade eine Querschnittsbranche wie der Tourismus hat so viele Anknüpfungspunkte, etwa bei Fördermaßnahmen, so dass sich der einzelne Leistungsträger irgendwo gesammelt informieren können muss. Das leisten wir mit dem Tourismusnetzwerk. Dort ordnen wir die wichtigen Infos und bereiten sie auf. Auch unsere E-Learning-Angebote und Leitfäden finden sich dort.

 

Welche Themen beschäftigen Sie aktuell besonders?

Die Ansprüche ans Destinationsmarketing steigen. Gleichzeitig müssen wir uns im Alltag auf die Bedürfnisse der Regionen einstellen. Das Zusammenspiel zwischen Landes- und Regionalebene ist also ein großes Thema für uns. Dann geht es natürlich weiter mit der Digitalisierung. Wir wollen im Zuge der Open-Data-Thematik einen richtigen Data-Hub aufbauen. Nicht aus dem Blick verlieren darf man beim Blick nach vorn die Qualität im Hier und Jetzt. Man muss also seine Produkte immer im Blick behalten. Hier muss sich zum Beispiel die Infrastruktur der Wasserstraßen unbedingt verbessern. Der Bund darf uns bei der Instandhaltung der Schleusen nicht im Stich lassen. Sonst können wir das nicht ordentlich in Wert setzen.