Axel Biermann, Geschäftsführer Ruhr Tourismus GmbH

Ein Gespräch über Freizeit als Identitätsstifter, Fördergelder als Gefahr für die eigene Strategie, und warum Stadtmarketing auch eine Gratwanderung ist zwischen den Interessen der Menschen vor Ort und Touristen.

 

Herr Biermann, kaum eine Region ist im Tourismusmarketing so umtriebig und dabei kreativ wie das Ruhrgebiet. Vom Tag der Trinkhallen über die neue Lit.Ruhr und den Erfolg der RUHR.TOPCARD ist die Spanne groß: Was inspiriert Sie am Ruhrgebiet?

Dass die Arbeit noch lange nicht erledigt ist. Wenn man das Ruhrgebiet als Reiseziel vom Produkt-Lebenszyklus her betrachtet, stehen wir noch am Anfang. Die Kulturhauptstadt RUHR.2010 war der Startschuss. Wir müssen nach wie vor viel mehr Überzeugungsarbeit leisten als zum Beispiel Berlin, damit Gäste zu uns kommen. Bei allem gilt: Auch, wenn Marketing viel Verpackung ist, muss immer der Kern stimmen.

 

Ist das nicht ein Allgemeinrezept jeden guten Stadtmarketings?

Das, was man hat, muss man authentisch verkaufen. Also seine Kernkompetenzen und Alleinstellungsmerkmale. Das ist so. Stadtmarketing ist aber auch eine Gratwanderung zwischen der Berücksichtigung des Angebotsdenkens der Einwohner und der Nachfragebrille der Touristen. Dazwischen haben wir oft eine große Diskrepanz. Das gilt für Museen, Parks, eigentlich für alles. Der Mensch, der hier lebt, überhöht die Dinge gerne. Menschen von außerhalb unterschätzen unsere Region dagegen oft.

 

Zu was führt das?

Was ein Stadtmarketing nicht machen darf, ist den Einheimischen nur nach dem Mund zu reden. Wir müssen auch nachfrageorientiert und auf Basis von Marktforschung Produkte entwickeln. Wir dürfen uns einerseits nicht verbiegen, um professionell arbeiten zu können. Andererseits muss man auch sensibel sein und die Menschen vor Ort bei neuen Themen mitnehmen.

 

Gibt es deswegen Produkte wie die RUHR.TOPCARD, die sich in erster Linie an das Freizeiterlebnis der Menschen der Region selbst richtet?

Das ist ein wichtiger Aspekt. Dieses Produkt regt dazu an, seine Heimat zu entdecken und Identifikation zu stiften. Denn historisch bedingt gehen die Menschen hier noch nicht so selbstbewusst mit der Region um, wie etwa Münchner oder Hamburger. Das gelingt uns mit der RTC sehr gut. 80 Prozent der Käufer sind aus der Region. Das bindet Kaufkraft. 2016 hat die RTC 1,1 Millionen Besuche in Freizeiteinrichtungen induziert.

 

Die RTG ist neben der Umsetzung eigener Ideen auch gut darin, EU-Gelder nutzen zu dürfen. Aber passen die geförderten Projekte auch immer zur eigenen Strategie?

Als ich noch Geschäftsführer in Oberhausen war, habe ich immer kritisiert, dass die RTG kein klares Konzept hat und nur nach Fördermitteln schielt. Das führte zu einem Schlingerkurs. Das haben wir beendet. Wir nehmen nur Fördermittel mit, die zu unseren Konzepten passen. Beim letzten EU-Wettbewerb haben wir zwölf Förderskizzen eingereicht, die gut auf unsere Strategie einzahlen würden. Aber es gibt nicht nur Gelder aus Brüssel. Man muss festhalten: Die Tourismusförderung in NRW funktioniert gut, weil hier die Landesthemen im Blick sind. Was hier im Bundesland läuft, ist clevere Tourismusförderung.

 

Vielleicht ist es für große Player wie Sie aber auch einfacher, da die RTG schon bei der Ausarbeitung von Landesmarketingplänen mit am Tisch sitzt. Kleinere Regionen müssen ihr Fähnlein öfter in den Wind hängen.

Mag sein. Eine Kommune mit zwei Stellen im Tourismusamt hat neben dem Tagesgeschäft keine Kapazitäten für aufwändige Projektskizzen. Da haben wir mit mehr als 40 Mitarbeitern und verschiedenen Kernteams klare Vorteile.

 

Bitte erzählen Sie uns etwas mehr über die fortgesetzte Marketingstrategie der RTG und die Ziele.

Die erste Marketingstrategie lief von 2012 bis 2016. Nun haben wir diese fortgeschrieben und etwas nachjustiert.Was bleibt, ist die Industriekultur als Profilierungsthema. Weil das aber alleine nicht ausreicht, haben wir als Aufladungsthemen Kultur, Shopping, Städtereiseund Radfahren kategorisiert. Ergänzungsthemen sind für uns Aktivtourismus und Kulinarik. Zusätzlich spielt das Thema Events für die Region eine entscheidene Rolle. Daher ist es für uns neben der Industriekultur das Profilierungsthema.

 

Wieso das?

Mehr als 50 Prozent der Menschen, die zu uns kommen, tun das anlassbezogen. Das zeigen neue Erhebungen. Das ist deutlich über dem Landesdurchschnitt. Und Events lassen sich vielfach bei uns dazu noch mit dem Thema Industriekultur kombinieren – zum Beispiel bei der ExtraSchicht. Auch beim Radfahren haben wir mit der Route der Industriekultur einen Rohdiamanten. Bei unseren Quellmärkten priorisieren wir jetzt anders: Baden-Württemberg ist nicht mehr so im Fokus, stattdessen Rheinland-Pfalz, das Saarland und Hessen.

 

Wie sieht die heutige Gästestruktur aus?

Unsere Hauptzielgruppe sind Best Ager, reiseerfahrene, gut situierte Menschen. Aber wir haben auch viele junge Singles und Paare, die besonders für Events anreisen. 85 Prozent unsere Gäste kommen aus dem Inland. Die wichtigsten Auslandsmärkte sind die Niederlande und Großbritannien. 2016 hatten wir 7,5 Millionen Übernachtungen. Auch die Zuwächse 2017 sehen schon ordentlich aus.  Und weil derzeit stark in neue Hotels investiert wird, wird es weiter nach oben gehen.

 

Noch mal zurück zum Label „Industriekultur“. Wollen viele nicht endlich mal von diesem Image weg?

Zukunft braucht Herkunft. Wenn wir auf dieses Erbe verzichten würden, könnte der Kölner genauso gut den Dom ausklammern. Das will aber keiner. Die Zechen und Stahlwerke sind die Tradition der Region. Auf der Industrialisierungsgeschichte fußt alles, obwohl es bei uns auch mittelalterliche Burgen und Schlösser gibt. Wenn Grundschulkinder ein Bild von ihrer Stadt malen sollen, dann malen sie bei uns Zollverein in Essen und den Gasometer in Oberhausen. Wie wichtig das Thema für die Region ist, zeigt sich auch daran, dass das Land und der Regionalverband Ruhr in den kommenden Jahren 120 Millionen Euro zum Erhalt dieser Anlagen bereitstellen.

 

Sie halten an der Vision fest, dass das Ruhrgebiet bis zum Jahr 2030 zu den „Magic Cities“ gehören soll, den zehn touristisch erfolgreichsten und attraktivsten Großstädten Deutschlands. Aber kann man das Ruhrgebiet überhaupt als eine Stadt begreifen?

Die Älteren tun sich damit vielleicht schwer. Aber die jüngeren Leute und die Zugezogenen erkennen zwischen Essen, Mülheim, Bochum, Oberhausen usw. keine echte Grenze mehr. Die A2, A40 und A42 laufen als Verkehrsadern von West nach Ost einfach durch. Die Städte fließen ineinander. Ich sage jetzt mal, alle unter 60 sehen das Ruhrgebiet als eine große Spielwiese, wo man sich seine Freizeitangebote herauspickt. Trotzdem: Lokale Identitäten bleiben natürlich. Aber das haben Sie in Berlin auch. Jemand vom Prenzlauer Berg ist anders als jemand aus Neukölln.